Zweirad statt Zwang – Frauen finden in Wetzikon neue Freiheit
Migrantinnen lernen Velo fahren
In Ländern wie dem Iran oder Afghanistan dürfen Frauen nicht Velo fahren. Das können sie hier in der Veloschule Zürcher Oberland nachholen – in einem Kurs, der jährlich stattfindet und jetzt gerade wieder zu Ende gegangen ist.
Eine Frau mit Kopftuch unter dem Velohelm tritt noch ein bisschen unsicher in die Pedale. Neben ihr steht eine andere Fahrerin auf einem Trottinett und fährt vorsichtig im Kreis. Im Hintergrund düsen zwei junge Frauen auf ihren Drahteseln mit Tempo über den Platz.
Diese Szene spielt sich auf dem Basketballplatz bei der Wetziker Sportanlage Meierwiesen ab. Die Veloschule Zürcher Oberland führt gerade ein Training durch. Hier lernen Erwachsene ab 18 Jahren Velo fahren.
Das Angebot richtet sich primär an geflüchtete Menschen, die in ihrem Heimatland keinen Zugang zum Velofahren hatten. Der Kurs steht aber auch Schweizern offen, die nie Fahrrad fahren gelernt haben.
«Aktuell sind vor allem Migrantinnen dabei», erklärte Daniela Billing, Kursleiterin der Veloschule Zürcher Oberland, vergangene Woche bei einem Besuch vor Ort. Die Frauen stammen aus der Türkei, der Ukraine, Eritrea und vor allem aus Afghanistan.
«Sie sitzen hier nicht nur zum ersten Mal in ihrem Leben auf einem Velo, sondern stärken auch ihr Selbstbewusstsein. Vor allem in der Gruppe motivieren sie sich gegenseitig», betont Billing.
Die Veloschule findet einmal im Jahr statt: diesmal vom 28. April bis zum 28. Mai. Das Projekt wird von der Stadt Wetzikon, vom Kanton Zürich, von der Katholischen Pfarrei Wetzikon und der Reformierten Kirche Wetzikon getragen.
Aufs Velo statt mit dem Bus
«Am Ursprung stand die Velobörse in Wetzikon, die bis heute populär ist», erzählt Roman Schenk. Er ist Sozialdiakon der Reformierten Kirche Wetzikon und Projektleiter der Veloschule. Dabei wurden Velos, die an der Börse nicht verkauft wurden, an Bedürftige vermittelt.
«Doch es wurde bald auch mal klar, dass gerade viele der Geflüchteten, die ein Velo erhalten haben, gar nicht darauf fahren können. Deshalb wurde 2019 die Veloschule gegründet, die für die Teilnehmenden kostenlos ist», sagt Schenk.
Viele der Teilnehmenden, diesmal seien es 18 Frauen, hätten nur ein schmales Budget zur Verfügung. «Statt mit dem Bus können sie nun auf dem Velo unterwegs sein. Das bedeutet eine grosse Freiheit für sie», berichtet der Sozialdiakon.
Mit dabei ist heute Aster aus Eritrea, die ihr Gesicht nicht zeigen und auch ihr Alter nicht verraten will. «In meiner Heimat ist es Frauen verboten, Velo zu fahren. Nun habe ich mich hier in der Schweiz zum ersten Mal auf ein Velo getraut. Inzwischen klappt es schon ganz gut. Nur in der Stadt zu fahren, ist noch ungewohnt», sagt die Eritreerin.
«Sie fährt schon sehr gut – und das in kurzer Zeit. Sie zeigt viel Biss und Ehrgeiz, das ist toll», schwärmt Karl Kupper, der als freiwilliger Velolehrer dabei ist.
Zuerst lernen die Frauen, auf einem Trottinett zu stehen. «So gewöhnen sie sich an die Balance», sagt Kupper. Im nächsten Schritt geht es dann auf ein Klappvelo, bei dem die Pedale eingeklappt werden können. So sitzen die Fahrerinnen wie auf einem Kinderlaufrad und bewegen das Velo nur mit den Füssen auf dem Boden.
«Erst dann, wenn sie sich sicher genug fühlen, wechseln sie auf ein herkömmliches Velo», erklärt Kupper. «Wenn die Frauen zum ersten Mal selber fahren können, fliessen auch schon mal Freudentränen.»
Velo fahren lernen hier im Kurs auch die Afghaninnen Roghayeh (30) und Leyla (32). «In unserem Land ist es Frauen verboten, auf einem Velo zu sitzen. Deshalb haben wir das vorher nie gelernt», berichtet das Duo. «Angst haben wir keine auf dem Velo, denn wir sind zwei mutige Frauen», sagen die Kolleginnen noch und brausen davon.
Seit fünf Monaten ist die 22-jährige Nazanin in der Schweiz – die Afghanin ist aus dem Iran hierhergekommen. In beiden Ländern ist es Frauen untersagt, Velo zu fahren. «Das war ein wahnsinniges Gefühl, als ich zum ersten Mal selber ein Velo lenken konnte», schwärmt sie.
Neben ihr sitzt Zahra (50) aus Afghanistan auf ihrem Fahrrad. «Ich fühle mich inzwischen sicher auf dem Velo. Nur freihändig kann ich noch nicht fahren, und auch in den Stadtverkehr getraue ich mich noch nicht», berichtet sie.