Gesellschaft

Wenn Tiere Wunden heilen: Susy Utzingers Leben für den Tierschutz

Seit 25 Jahren betreibt Susy Utzinger eine Tierschutzstiftung. Doch ihre Berufung füllt ein ganzes Leben. Über den Weg dorthin und wie sich der Aktivismus seither verändert hat.

Brennt fürs Tierwohl: Susy Utzinger, Gründerin der gleichnamigen Tierschutzstiftung, mit den Bürohunden Dorel und Winston (hinten).

Foto: Seraina Boner

Wenn Tiere Wunden heilen: Susy Utzingers Leben für den Tierschutz

Oberländer Tierschutzstiftung wird 25

Das Frausein und fehlende Nestwärme sind eng verbunden mit Susy Utzingers Aufstieg zu einer der bekanntesten Tierschützerinnen im Land. Mittlerweile wird es Herbst in ihrem Berufsleben. Die Arbeit geht ihr aber nicht aus.

Wer mit Susy Utzinger in Kontakt treten will, wird gerne von einer Abwesenheitsmeldung vertröstet. «Liebe Tierfreunde», spricht diese einen an. Die Tierschützerin könne keine E-Mails beantworten. Sie betreibe gerade «field work» im Ausland.

Was das bedeutet, erfahren wir bei Kaffee und Hundegebell im Hauptquartier der Tierschutzstiftung im Kollbrunner Tösspark. Utzinger ist gerade aus Hurghada zurückgekehrt – nicht wie andere braun gebrannt, sondern ganz schön «genudelt», wie sie sagt.

Im ägyptischen Strandort, den viele vor allem aus dem Reisekatalog kennen dürften, betreibt die Stiftung seit 2016 ein Spital für Strassenhunde und -katzen.

Weil Zeit und Geld für monatliche Arbeitsbesuche fehlen, muss bei den wenigen Abstechern ins Ausland alles sitzen. Das Programm ist entsprechend vollgepackt, etwa mit der Schulung von Tierärzten, einer Neuorganisation der Verwaltung und Sitzungen mit freiwilligen Helfern.

Die Unterstützung von Tierheimen ist eine von vier Säulen, auf denen die Arbeit der Stiftung fusst. Eine weitere ist die medienwirksame Aufklärungsarbeit. Dieses Jahr feiert die Organisation, der Utzinger nicht nur den Namen, sondern auch das inhaltliche Profil gegeben hat, ihr 25-jähriges Bestehen.

Unweigerlich stellt sich also die Frage nach dem Menschen hinter der Stiftung. Doch: Trennbar sind Sache und Person nicht. Man könnte sagen, Susy Utzinger ist Tierschutz. Wer über sie spricht, spricht automatisch über das, was ihre Stiftung tut.

Tierliebe als Lückenfüller

Ihr Weg zeigt: Eine der bekanntesten Tierschützerinnen des Landes wird man nicht mal eben so. Deshalb würde es zu kurz greifen, den Anfang ihres Werdegangs auf einen Schlüsselmoment herunterbrechen zu wollen – auch wenn das eine gute Geschichte wäre.

Eine Antwort hält sie trotzdem bereit. Sie war ungefähr 4-jährig, als sie vor einem Schuhgeschäft in Dübendorf einem schlotternden Hundewelpen begegnete. «Ich habe ihm meine Jacke übergezogen, damit er nicht so frieren muss», erinnert sich Utzinger. Es ist nur eine von vielen glasklaren Erinnerungen, die auch in ihrer 2017 erschienenen Biografie «Heimatlos» stehen.

Eine Frau pflegt einen Esel.
Der Umgang mit Tieren gehörte von klein auf zu Susy Utzingers Leben.

Dass die Oberländerin von der blossen Tierliebhaberin zur Tierschützerin wird, hat nicht zuletzt mit ihrer Familiengeschichte zu tun. Oft wechselt die Familie den Wohnort – von Dübendorf nach Grüt, weiter nach Greifensee und dann nach Uster. Ihr Vater gründet Ende der Siebzigerjahre eine Tierambulanz, in der sie bereits als Kind mit anpackt. Erfahrungen, die die noch junge Susy Utzinger fürs Leben prägen sollten.

Der Weg zur Tierschützerin ist also gewissermassen vorgespurt. Doch das kühle Familienklima tut seinen Teil. Der Umgang mit den Tieren wird für sie zur Weltflucht. Daraus schöpft sie die Liebe, Beachtung und Geborgenheit, die ihr die Eltern nicht entgegenbringen.

Nach einer KV-Lehre und dem erfolglosen Versuch, ein Leben wie alle anderen zu führen – sesshaft und mit wenigen Tieren um sich herum –, findet sie den Weg zurück zur väterlichen Tierambulanz. Sie koordiniert Rettungseinsätze und führt sie durch, schiebt Pikettdienste, wird zum Workaholic: alles im Dienste des Tierschutzes, der sich wie ein roter Faden durch ihr Leben zieht.

Nicht vor Geschlechterklischees gefeit

Die Leitung dieser Organisation beschert ihr auch erste mediale Aufmerksamkeit. Eine junge Frau rettet in Not geratene Tiere – das scheint ganz nach dem Gusto damaliger Boulevardmedien zu sein. So titelt 1993 die «Schweizer Illustrierte» «Schöne Susy hilft heimatlosen Tieren» und bezeichnet Utzinger im Artikel als «hübsche Geschäftsleiterin».

Als ein Spendenskandal die Tierambulanz erschüttert und Utzinger mit hineingezogen zu werden droht, kommt es zum Bruch mit der Familie. Sie baut die Organisation als «TierRettungsDienst» neu auf. Als Fachjournalistin berichtet sie zudem über Tierschutzthemen und macht sich damit einen Namen. Was sie dort zu Gesicht bekommt, trägt später massgeblich zur Gründung ihrer Stiftung bei.

Die Susy Utzinger Stiftung für Tierschutz wird dieses Jahr 25-jährig.
Auch nach jahrzehntelangem Engagement für den Tierschutz wird Susy Utzinger immer wieder auf ihr Äusseres – oder ihr Geschlecht – reduziert.

Über 30 Jahre später findet deren Arbeit regelmässig Einzug in Zeitungen. «Wir haben uns diesen Ruf erarbeitet», betont Utzinger. Und trotzdem kommt es auch heute noch vor, dass sie auf ihr Äusseres reduziert wird: «Viele haben noch immer das Gefühl, ich sei die Frau, die ins Ausland geht und dort ein bisschen Tierli streichelt.»

Dabei stecke so viel mehr dahinter – dass viele Leute das nicht sehen würden, sei «schon hart», meint die 55-Jährige. Obwohl sie seit vielen Jahren mit Gesicht und Namen für Tierschutz steht, beobachtet sie: Engagieren sich Frauen dafür, wird die Sache schnell zur blossen Herzensangelegenheit degradiert, während dasselbe Wissen bei Männern als Know-how dargestellt wird. «Männer im Tierschutz werden schon sehr gehyped.»

Doch das Frausein habe ihr auch Türen geöffnet, ist sie überzeugt. «Früher hatte ich den Anspruch, dass jeder die Wichtigkeit der Sache erkennt – wenn ich meine Ziele erreiche, weil mich jemand hübsch findet, ist mir das heute egal.»

Aufmerksamkeit findet der Tierschutz längst nicht mehr nur in den klassischen Medien. Quasi parallel zur Stiftung ist ein neues Phänomen gross geworden: Tierquälerei über Internet und soziale Medien.

Von Tierhandel unter dem Deckmantel des Tierschutzes über das Ködern von Reaktionen mit niedlichen Katzen- und Hundevideos bis hin zu emotionaler Erpressung à la «Wenn du Fifi nicht nimmst, ist er morgen tot, und du bist schuld» ist das Spektrum breit. «Findige Geschäftsleute haben herausgefunden, wie man agieren muss, um damit Klicks und Geld zu generieren», ist Utzinger überzeugt.

Schockbilder versus Kuschel-Aktivismus

Utzingers Tierschutzstiftung fokussiert darum auch auf Tierquälerei im digitalen Raum, spricht Warnungen aus und fährt Kampagnen mit Slogans wie «Dein Like, sein Leid».

Schreibtischtäter und Social-Media-Aktivisten, die die Situation vor Ort nicht kennen, sieht sie deshalb kritisch. Ebenso kritisch wie aggressiven Aktivismus mit Drohgebärden und Schockbildern, wie er gerade in den sozialen Medien an Popularität gewinnt.

«Das ist total kontraproduktiv – man baut Mauern auf, wo keine sein sollten.» Nicht selten führe das dazu, dass sich Menschen bereits angegriffen fühlten, wenn sie sich als Tierschützerin vorstelle.

Man sieht den Aussenbereich eines Tierheims.
Die Tierschutzstiftung verzichtet aus Überzeugung auf aggressiven Aktivismus – und zeigt stattdessen, wie geholfen wird.

Betreibt ihre Stiftung also Wohlfühl-Aufklärungsarbeit? «Wir machen bewusst sanften Aktivismus», erklärt sie. «So befähigen wir die Leute, sich richtig zu verhalten. Wir sind der Meinung, dass das der nachhaltige Weg ist.»

Wenn man als Organisation schockiere, führe das nicht automatisch zum Umdenken. «Ich kann jeden anschreien, der kein Veganer ist», erzählt Utzinger, «aber ich glaube nicht, dass jemand dann sagt: ‹Jetzt, wo du mich beschimpfst, ändere ich mein Leben.›»

Derselben Maxime folgt auch die Idee des Tierschutzmarkts, den die Stiftung zum 25-Jahr-Jubiläum in der Halle des Zürcher Hauptbahnhofs organisiert, zusammen mit 25 Partnerorganisationen. Es geht um nicht weniger als das Image des Tierschützers, das es aufzupolieren gilt. Davon verspreche sie sich in Bezug auf den Tierschutz «richtig viel», sagt Utzinger.

Ihr Name ist Synonym für Tierschutz

Blickt sie auf die Stiftungsgeschichte zurück, bleibt ein positives Bild haften: Viele Dinge hätten sich für die Tiere verbessert, auch die Welt habe sich verändert. «Heute treffen wir in Ägypten, Ungarn und Rumänien ganz andere Umstände an als zu unseren Anfangszeiten.»

Und doch: Gründe für Ungeduld und Frustration hat Utzinger auch heute noch. «Gewisse Dinge muss man immer wieder sagen, andere Phänomene waren lange kein Thema und werden plötzlich wieder zum Problem.» Pelz etwa, der plötzlich erneut in Mode ist, oder Katzenpopulationen in der Schweiz, die gerade wieder explosionsartig zunehmen.

Für sie ist klar, dass ihre Mission auch weitergeht, wenn sie sich einmal zur Ruhe setzt. «Am Ziel, Tierleid nachhaltig zu vermindern, sind wir noch nicht, und das werde ich wohl auch nicht erleben», meint sie. Die Vorbereitungen für eine geordnete Übergabe laufen bereits seit einigen Jahren.

Denn – und daraus macht Utzinger kein Geheimnis: Dem Alter kann auch sie nicht entkommen. Obwohl die Leidenschaft noch immer in voller Blüte steht, fühlt sie bei sich, wie der Herbst naht. «Früher arbeitete ich oft 16 Stunden am Tag, und das sieben Tage die Woche, heute brauche ich viel mehr Pausen und Auszeiten.»

Auszeiten, die sie mit ihren vier geretteten Hunden bei Projektbesuchen in Ungarn verbringt. Oder in ihrem biodiversen Garten daheim, wenn sie nicht auf Reisen oder im Kollbrunner Stiftungsbüro ist. «Bei dir hat jedes Vögeli und jedes Insektli seinen Platz», wirft eine Mitarbeiterin im Vorbeigehen ein. Work-Life-Balance? Das würde voraussetzen, dass Person und Sache trennbar sind. Doch wie gesagt: Susy Utzinger ist Tierschutz. Ändern wird sich das kaum – in diesem Leben.

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