Über zwei Jahre lang radelte er von Grüningen nach Japan
Grüninger auf Weltreise
Patrick Letica reiste durch 27 Länder, schloss viele Bekanntschaften und überstand einen beinahe fatalen Unfall – dies in 830 Tagen, in denen er nach Japan unterwegs war.
830 Tage, 18’125 Kilometer und 27 Länder: Patrick Letica, 28 Jahre alt, hat etwas getan, wovon viele nur träumen. Er startete ein Abenteuer, das ihn mit dem Velo durch die verschiedensten Kulturen, Klimazonen und Lebensrealitäten führte – und dabei auch ihn selbst veränderte.
Letica, geboren und aufgewachsen in Hinwil, lebt heute in Grüningen. 2019 begann er, sich Fragen zu stellen, die sein Leben grundlegend verändern sollten: «Ist das wirklich alles? Will ich mein Leben in der Schweiz verbringen, immer mit dem Fokus auf Materielles?»
Damals arbeitete er in einem Unternehmen für Finanztechnologie, wo er sich beruflich erfolgreich entwickelt hatte. Dennoch fühlte er eine innere Leere. Das Streben nach materiellen Dingen wie teuren Autos und Statussymbolen erfüllte ihn nicht.
Nach Japan zu fliegen, war nie eine Option
Er kündete seinen Job und entschied sich dazu, aufzubrechen und sein altes Leben hinter sich zu lassen. Ohne grosse Fahrrad-Erfahrung startete Letica im Sommer 2022 seine Weltreise. Aus der Schweiz führte es ihn in Richtung Italien, weiter über den Balkan durch Asien und schliesslich nach Japan, einem Land, zu dem er sich schon immer hingezogen fühlte. «Wahrscheinlich war ich in einem anderen Leben mal ein Samurai», sagt er lachend.
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«Es war nie eine Option, einfach nach Japan zu fliegen», erzählt Letica. «Ich wollte die Reise spüren, sie in jedem Moment erleben.» Die Entscheidung für das Fahrrad als Reisemittel war bewusst: Es ist schnell genug, um Strecke zu machen, aber langsam genug, um die Umgebung wirklich wahrzunehmen.
Letica radelte durch Landschaften, die von endlosen Wüsten bis zu schneebedeckten Bergen reichten, und erlebte auf diese Weise die Welt neu. Täglich meisterte er 100 bis 120 Kilometer auf dem Fahrrad.
Im Irak musste Letica zum ersten Mal ein Flugzeug nehmen. Ihm wurde gesagt, dass auf der Strecke von Erbil im Nordirak nach Bagdad, der Hauptstadt des Irak, zu viele Isis-Schläferzellen seien. Auch von Nepal nach Thailand musste er aufs Flugzeug umsteigen. «Von Nepal hätte ich durch Bangladesch nach Myanmar müssen. Die Grenze von Myanmar war aber wegen des Bürgerkriegs gesperrt.»
Von China nach Südkorea und von Südkorea nach Japan reiste Letica mit der Fähre.
Nur das Nötigste kommt mit
Zu Beginn seiner Reise machte Patrick Letica einen typischen Anfängerfehler: Er nahm viel zu viel mit. «Ich wollte das ganze Zuhause einpacken.»
Doch schnell merkte er, dass man für eine Weltreise nur das Nötigste braucht: ein Fahrrad, ein paar T-Shirts, Hosen, Socken und einfache Ausrüstung wie ein Zelt und einen Schlafsack. Luxusgegenstände wie sein Laptop oder ein Kimono für Jiu-Jitsu blieben dennoch Teil seines Gepäcks.
Ständiges Training auf der Reise
Das Brasilianische Jiu-Jitsu (BJJ) nimmt einen grossen Teil in Leticas Leben ein. Auf der Reise wurde es zu einer besonderen Verbindung zur Welt. Er trainierte in über 50 Dojos weltweit. Das sind Räume, in denen Kampfkünste trainiert werden. «Ich durfte in vielen Dojos sogar übernachten. Die Gastfreundschaft der Jiu-Jitsu-Gemeinschaft ist einfach unglaublich», berichtet er.

«Ohne Training hätte ich auf der Reise so viel verpasst. Jiu-Jitsu hat mich nicht nur körperlich, sondern auch menschlich wachsen lassen.» Sein Ziel ist es, eines Tages eine eigene Schule zu eröffnen.
Spenden nach Brasilien
Vor seiner langen Reise nach Japan zog es Letica wegen des Jiu-Jitsu nach Brasilien. Dort sah er in den Favelas die Schwierigkeiten, mit denen die Menschen konfrontiert sind. Er entschied sich deshalb, etwas zurückzugeben und auf seiner Weltreise Spenden für Kinder in diesen Favelas zu sammeln.
«Mit dem Geld konnten Kimonos für ihr Training gekauft, das Dojo renoviert oder Mahlzeiten für die Kinder bereitgestellt werden», sagt Letica stolz. In den sozialen Medien machte er während seiner Reise nach Japan immer wieder Aufrufe zum Spenden. Dadurch kamen ein paar hundert Franken zusammen, welche einen grossen Unterschied machten.
Bei jedem Wetter weiterfahren
Für diese Spenden reiste Letica durch verschiedenste Wetterlagen. «Ich hatte Glück – der erste Regen erwischte mich erst in der Türkei», sagt er. Doch von da an wurde es teilweise ungemütlich. Kalte Nächte mit Temperaturen unter dem Gefrierpunkt in den Bergen Pakistans zwangen ihn dazu, sich in mehrere Schichten Kleidung einzupacken. Ausserdem erlebte er die brütende Hitze von bis zu 45 Grad in Indien, wo er um 4.30 Uhr morgens startete, um der gnadenlosen Mittagssonne zu entkommen.
Besonders Wüsten stellten ihn auf eine harte Probe. «In Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten gab es Strecken, auf denen es über 300 Kilometer nichts ausser Sand gab», erinnert er sich. Glücklicherweise hielten immer wieder Menschen an, um ihm Wasser und Früchte zu reichen.
In China war es dagegen der Regen, der ihm zu schaffen machte. Kleider, die tagelang nicht trockneten, und davon entzündete Füsse erschwerten seine Reise erheblich. «Es gab Momente, in denen ich kaum noch laufen konnte», sagt Letica.
Über zwei Jahre weg von Familie und Freunden
Trotzdem ging es für Patrick Letica immer weiter. Aufhören kam nie infrage. Aber es gab auch Momente der Sehnsucht. «Ich war über zwei Jahre unterwegs und habe meine Familie sehr vermisst», gesteht Letica. Während der Reise traf er seine Mutter und seine Schwester in Istanbul und feierte später Weihnachten mit ihnen in Thailand. Seinen Vater hingegen sah er erst nach seiner Rückkehr wieder – nach mehr als zwei Jahren Trennung.
«Dank Smartphone konnte ich immer wieder mit Familie und Freunden sprechen.» Er fühlte sich unterwegs aber selten allein. «Ich lernte ständig neue Leute kennen. Egal, wie weit weg von zu Hause ich war, ich hatte immer grossartige Menschen um mich.»

Auf der Reise nach Japan machte Letica in jedem Land, vor allem durch Begegnungen mit Menschen, unvergessliche Erfahrungen. «Egal, wo du bist, wenn du mit einem offenen und reinen Herzen auf die Leute zugehst, wirst du positiv aufgenommen», sagt er.
Nach seiner Rückreise per Flugzeug erwartete Letica in der Schweiz eine überraschende Erkenntnis: «Es hatte sich fast nichts verändert. Die gleichen Strassen, die gleichen Gebäude, die gleichen Gespräche.» Freunde versicherten ihm, er habe nichts verpasst – eine Bestätigung, dass sein Entschluss, auszubrechen und die Welt zu erkunden, genau richtig war. «In dieser Zeit habe ich mehr erlebt als viele in einem ganzen Leben», sagt Letica.
Nicht der Mensch war die grösste Gefahr
Eine Weltreise ist nicht ohne Risiken – das wusste Letica, bevor er aufbrach. Doch er vertraute darauf, dass ihm sein Bauchgefühl helfen würde, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Vor allem, da er so oft zu Fremden nach Hause eingeladen wurde. «Ich hatte ein gutes Gespür für die Menschen, denen ich begegnete», erzählt er. «Manchmal spürt man, wenn die Intentionen nicht ganz klar sind.» Aus Respekt vor sich selbst lehnte er Einladungen ab, wenn die Situation merkwürdig erschien.
Tatsächlich war es selten ein Mensch, der ihn in Gefahr brachte, sondern der Strassenverkehr. «Das ist das Gefährlichste. Autofahrer respektieren Radfahrer in vielen Ländern kaum. Als Radfahrer bist du in der Hierarchie des Strassenverkehrs der Schwächste.»
Unfall in Indien
Diese Gefahr wurde für Letica in Indien zur bitteren Realität. Am 10. Juli 2023 wurde er während seiner Reise von einem grösseren Fahrzeug am frühen Morgen auf einer Landstrasse überrascht. Der Aufprall schleuderte ihn von seinem Fahrrad, das dabei beschädigt wurde. «Ich wachte nach Bewusstlosigkeit am Strassenrand auf, ohne zu wissen, was passiert war», erzählt der 28-Jährige. Es waren Passanten, die ihn von der Strasse weggezogen hatten und ihm halfen, wieder zu sich zu kommen.
Die medizinische Versorgung vor Ort stellte sich als katastrophal heraus. «Das Krankenhaus hatte nur das Nötigste, und das Zimmer war voller Menschen, die schauen wollten, was passiert war», erinnert er sich. Ein Reporter versuchte sogar, ein Interview mit ihm zu führen – für Letica eine absurde und überfordernde Erfahrung. Ein längerer Aufenthalt im Krankenhaus wurde ihm allerdings nicht angeboten. Stattdessen kurierte er sich selbst in einem Hotel aus.

Als sich Letica wieder fitter fühlte, ging es zunächst zu Fuss Richtung Nepal. «Schnell merkte ich aber, dass das nicht die beste Idee mit einer Gehirnerschütterung ist, und nahm dann doch den Bus.» Als er in Nepal angekommen war, bestätigte ein MRI eine mittelschwere Gehirnerschütterung, aber glücklicherweise nichts Schlimmeres. Anschliessend verbrachte er zwei Monate in Thailand, wo er bei einem Freund Zuflucht fand und ein neues Fahrrad kaufte. «Ich hatte grosses Glück im Unglück», sagt Letica heute. Ans Aufgeben dachte er trotz allem nie. «Selbst wenn ich nicht mehr hätte Rad fahren können, hätte ich zu Fuss weitergemacht. Für mich war klar: Die Reise geht weiter.»
Jetzt will er andere unterstützen
Heute möchte er seine Erfahrungen nutzen, um andere zu inspirieren, und lebt davon. Auf Youtube und Social Media teilt er seine Reiseerlebnisse und unterstützt als Mentor Menschen, die an ihrer eigenen Weiterentwicklung arbeiten wollen.
«Ich habe gelernt, dass alles im Kopf beginnt», sagt der Grüninger. «Viele Menschen leben in Angst oder Sorge. Ich will ihnen zeigen, dass es möglich ist, etwas zu ändern – man muss nur den ersten Schritt machen.»
Doch Letica ist noch lange nicht am Ende seiner Reise. Er plant bereits neue Abenteuer, darunter einen Besuch bei seiner Familie in Bosnien.
«Das Leben ist zu kurz, um auf der Stelle zu treten», sagt er. «Ich möchte die Welt sehen, Menschen inspirieren und selbst immer weiterwachsen.»