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Gesellschaft

Paradies für Vintage-Fans und Trouvaillen-Jäger in Wetzikon

Ein Brocki ohne den üblichen Mief: Zwei Männer ziehen das gerade unweit des Oberland Märts durch – mit zum Teil ungewöhnlichen Ideen.

Viele Bücher sind noch originalverpackt oder kaum einmal in den Händen gehalten.

Foto: Karin Sigg

Paradies für Vintage-Fans und Trouvaillen-Jäger in Wetzikon

Neues Brockenhaus

In Wetzikon gibt es ein neues Brockenhaus, direkt hinter dem Züri Oberland Märt. Mit einem etwas anderen Konzept hebt es sich deutlich von der Konkurrenz ab.

Neugierig betreten Passanten das vor rund zwei Monaten eröffnete Geschäft in Wetzikon an der Pappelnstrasse 3. Der helle Laden wirkt einladend, sauber und gut sortiert. Es herrscht ein reges Treiben, die Kunden gehen ein und aus.

An einem hölzernen Ast sind Schmuckstücke dekorativ drapiert. Daneben hängen an einem Kleiderständer frisch duftende Kinderkleider. In unmittelbarer Nähe laden neuwertige Bücher zum Schmöckern ein.

Eigentlich das klassische «Gemischtwaren-Sortiment» eines Brockis. Doch im RB Brockenhaus in Wetzikon fehlt der angestaubte Brocki-Mief. «Es ist uns wichtig, nur Produkte in einwandfreiem Zustand anzubieten und diese ansprechend zu präsentieren», sagt Geschäftsinhaber Pascal Burkhardt.

So wäscht er alle Kleidungsstücke, bevor sie zum Verkauf angeboten werden. Man findet viele neue Artikel, die noch mit der Originaletikette versehen oder in Folie geschweisst sind. Der Grund dafür: Pascal Burkhardt hat viele Artikel im Angebot, die von Lagerräumungen oder Geschäftsaufgaben stammen und deshalb noch nie gebraucht wurden.

«Seit 18 Jahren führe ich Umzüge und Räumungen durch.» Lange Zeit war er bei einer Umzugsfirma angestellt. Inzwischen arbeitet der Zügelprofi auf selbständiger Basis.

Im Online-Geschäft handelt er schon länger mit seinen Artikeln. Ende Juli hat der gelernte Maurer nun mit seinem Geschäftspartner Filip Rüegg das RB Brockenhaus in Wetzikon eröffnet, um sein breites Sortiment direkt bei den Leuten präsentieren und verkaufen zu können.

Man sieht die Geschäftsinhaber des RB Brockenhauses in Wetzikon.
Pascal Burkhardt (rechts) und Filip Rüegg an der Eröffnung ihres neuen Brockenhauses.

Durch seine Arbeit konnte sich Burkhardt nicht nur ein grosses Wissen über den Wert von Möbelstücken und anderen Dingen aneignen. Auch seine persönliche Einstellung wurde dadurch sensibilisiert. «Es ist verrückt, was in der Schweiz täglich weggeworfen wird», empört er sich.

Gerade bei Hausräumungen werde oftmals alles ungesehen entsorgt, bei Umzügen ganze Inneneinrichtungen komplett ausgewechselt. «Der Bezug zu Dingen ist in der Gesellschaft komplett verloren gegangen.»

Immer wieder wechselndes Sortiment

Seine Leidenschaft für die Erhaltung von Gebrauchtwaren hat Pascal Burkhardt mehrere proppenvolle Lagerräume beschert. Entsprechend könne das Sortiment in Wetzikon ständig erneuert werden. «Unsere Kunden sollen immer wieder Neues entdecken, nicht nach drei Monaten noch dieselben Ladenhüter antreffen.»

Die Dinge unter die Leute zu bringen, lautet denn auch die Geschäftsphilosophie. «Lieber etwas günstiger anschreiben, dafür finden die Sachen neue Besitzer.» Und wenn das nicht klappt, landet «verwaiste» Ware nach einiger Zeit auf dem Gratis-Tisch vor dem Ladeneingang.

Man sieht das breite Sortiment im neuen RB Brockenhaus in Wetzikon.
Direkt vor dem Eingang lockt der «Gratis-Tisch» Schnäppchenjäger an.

Finden Produkte dann immer noch kein neues Zuhause, werden sie gesammelt und gespendet: «Ein Bekannter von mir reist regelmässig mit einer gefüllten 40-Kubik-Mulde nach Kamerun und verschenkt Secondhand-Artikel an mittellose Menschen.»

Burkhardt ist es wichtig, dass funktionierende Produkte nicht sinnlos entsorgt werden: «Nur weil etwas nicht verkauft werden kann, gehört es noch lange nicht in den Müll.»

Designer-Stücke

Nebst dem «alltäglichen Kleinkram» findet man im Wetziker Brockenhaus auch ganz besondere Artikel, auf denen keine Preise deklariert sind. «Wird versteigert» steht auf Schildern von Armani-Uhren, Goldketten, Gucci-Taschen oder Versace-Kleidern.

Diese «Trouvaillen» können im Laden oder online zu jeweils im Voraus kommunizierten Terminen ersteigert werden. Denn Preise für diese Markenprodukte im Luxussegment festzusetzen, ist gemäss Pascal Burkhardt nicht ganz einfach. «Mit Sicherheit zu bestimmen, ob es sich um ein echtes Label oder ein Imitat handelt, ist eine äusserst komplexe Angelegenheit.»

So zieht Burkhardt für Schätzungen lieber einmal mehr Profis wie zum Beispiel Uhrenmacher zurate, wenn für Markenartikel keine Echtheitszertifikate vorliegen. «Ich möchte guten Gewissens hinter meinen Produkten und Preisen stehen können.»

Wie in den meisten Brockenhäusern kann auch bei Pascal Burkhardt gebrauchter Hausrat zum Weiterverkaufen gespendet werden. Zudem besteht die Möglichkeit, Waren mit einem Wert von über 100 Franken auf Kommission im RB Brockenhaus zu verkaufen.

Ausgedienten Sachen neuen Sinn geben

So findet man unter anderem ein Velo, ein Keyboard, Autoreifen oder ein antikes Messerset – alles Dinge, welche die Besitzer einen Monat lang im Laden zum Verkauf anbieten können. Werden sie verkauft, wandert eine Provision von 15 Prozent in Burkhardts Kasse. «Das ist teurer, als die gängigen Schweizer Online-Plattformen für sich beanspruchen. Allerdings muss man kein Inserat erstellen und braucht sich nicht um den Kundenkontakt zu kümmern.»

Bis der «Laden läuft», steht Pascal Burkhardt meist selbst im Laden. Filip Rüegg übernimmt nach Feierabend und am Samstag. Danach zieht es den «Zügelprofi mit Leib und Seele» wieder zurück zu seiner Herzensangelegenheit, den Umzügen und Räumungen. «Filip ist der Verkäufer, ich der Zügelmann», sagt er und lacht.

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