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Gesellschaft

So gelassen und heiter leben die Mönche im Tibet-Institut Rikon

Wie leben buddhistische Mönche in der Schweiz? Auf einem Rundgang in Rikon erschliesst sich dem Besucher eine erstaunliche Welt.

Geshe Tenzin Jangchup ist seit acht Monaten Abt im Tibet-Institut Rikon.

Foto: Karin Sigg

So gelassen und heiter leben die Mönche im Tibet-Institut Rikon

Blick hinter die Klostermauern

Eine Führung durch das tibetische Kloster lässt die Besucher in den Alltag der buddhistischen Mönche eintauchen. Und zeigt, dass verschiedene Traditionen friedlich zusammenleben können.

Wer vor dem Tibet-Institut in Rikon steht, wähnt sich in einer anderen Welt. Während viele Klöster westlichen Ursprungs eher trist wirken, strahlt dieses Anwesen trotz der Abgeschiedenheit eine entspannte Heiterkeit aus.

Von der Strasse bis weit in den Wald hinein flattern bunte Fähnlein, die mit Gebetstexten bedruckt sind. «Die Farben stehen symbolisch für die fünf Elemente», erklärt Peter Oberholzer, Geschäftsführer des Instituts. Mitglieder der tibetischen Gemeinde hängen diese Gebetsfahnen jeweils auf.

Den Sinn dahinter führt Oberholzer scherzend auf die Bequemlichkeit der Tibeter zurück: «Der Wind trägt die Gebete auf diese Weise in die Welt hinaus und erledigt so die Arbeit für sie.»

Der 54-Jährige leitet seit acht Monaten das Rikemer Institut. Der ehemalige UBS-Banker hat durch seine verstorbene Ehefrau, die Tibeterin war, und die zwei gemeinsamen Töchter eine enge Beziehung zum tibetischen Buddhismus. Er ist angekommen in seinem neuen Job: «Es ist mir wichtig, die Traditionen zu bewahren und ein Stück weit in die neue Zeit zu bringen.»

Sein Hintergrundwissen – tibetische Sprachkenntnisse inklusive – lässt er in der zweistündigen Führung immer wieder einfliessen. In einer kurzen Einleitung gibt er den knapp 20 Teilnehmern einen Überblick, wie der Buddhismus aus Asien ins Tösstal gekommen ist und welchen Ursprung das Institut hat.

Die Brüder Henri und Jacques Kuhn nahmen in den 1960er Jahren tibetische Flüchtlinge auf und beschäftigten sie in ihrer Metallwarenfabrik. Sie merkten, dass die Tibeter zwar bald gut integriert waren, sie hier aber noch keine Wurzeln schlagen konnten. «Ihr Herz war noch nicht angekommen», erzählt Oberholzer.

Henri Kuhn fragte beim Dalai Lama persönlich um Rat. Dieser erklärte ihm, welch tragende Rolle die Religion im Leben der Tibeter spielt, und schlug vor, eine entsprechende Einrichtung zu bauen. Aus einer Idee wurde Wirklichkeit – 1968 konnten die ersten buddhistischen Mönche in Rikon einziehen.

Beten kann man auch in der Natur

Die Besuchergruppe wird indes an einem sogenannten Lichtopferhaus vorbeigeführt. Dort sind gerade einige tibetische Besucher damit beschäftigt, 108 Kerzen zu entzünden – im Buddhismus eine wichtige Zahl, da Buddha 108 Schriften verfasst hat. «Früher wurden die Kerzen im Gebetsraum im Haupthaus entzündet», erzählt Peter Oberholzer, «entsprechend waren sämtliche Räume regelmässig verrusst.»

Die gewundenen Wege führen in den Wald. Eine tibetische Familie spaziert mit ihrem kleinen Sohn zum Stupa, einer Art Turm, der mit Gebetstexten und Räucherstäbchen gefüllt ist. Die Mutter verneigt sich vor dem Bauwerk. Der Junge löst sich von der Hand des Vaters und rennt fröhlich zu ihr.

Auch in der Besuchergruppe, die an der Führung teilnimmt, sind einige Kinder dabei. Sie hüpfen fröhlich herum, rennen voraus und wieder zurück. Sie ernten keine bösen Blicke – Heiterkeit scheint in einem buddhistischen Kloster zum Alltag zu gehören.

Das bestätigt auch der Besuch des Gebetsraums, in dem fröhlich-bunte Farben vorherrschen. Auf dem Beamer präsentierte Foto- und Filmaufnahmen gewähren einen Einblick in den Klosteralltag in Rikon, der manchmal recht weltlich geprägt ist. «Im Dorf ist man sich an den Anblick tibetischer Mönche, die in der Migros einkaufen, gewöhnt», sagt der Geschäftsführer schmunzelnd.

Da die meisten Mönche keinen Führerschein haben, sind sie häufig mit Kickboards oder Velos unterwegs. Ein Schnappschuss verrät, dass sich mit der Mönchskutte sogar schlitteln lässt.

Die Mahlzeiten sind einfach gehalten und indisch geprägt. Jeweils einer der Mönche ist vorwiegend für das Kochen verantwortlich und von einem Teil seiner anderen Aufgaben befreit. Vor einigen Wochen hat ein neuer Mönchskoch seine Arbeit in Rikon aufgenommen. «Seine Kochkünste wurden begeistert aufgenommen, auch unsere Mönche essen gerne gut», erzählt Oberholzer.

Seelsorge, Austausch und Wissenschaft

Zum Morgengebet um sieben Uhr, das von monotonem Singsang begleitet wird, ist auch die Öffentlichkeit eingeladen. Einen grossen Teil des Tages verbringen die Mönche damit, sich um seelsorgerische Aufgaben in der Bevölkerung zu kümmern. Sechs Stunden pro Woche erhalten sie Unterricht in westlichen Wissenschaften von pensionierten, vorwiegend freiwilligen Lehrpersonen. Dies entspricht dem Anliegen des Dalai Lama, der sagt: «Wissenschaft begegnet buddhistischer Lehre.»

Der Austausch mit westlichen Interessierten in Kursen unter anderem im Meditieren gehört genauso zu den Aufgaben des Instituts wie die Tatsache, dass es seine Bibliothek für wissenschaftliche Recherchen zur Verfügung stellt.

Die unterschiedlichen Buddha-Skulpturen, die im Gebetsraum anzutreffen sind, stehen für die verschiedenen Traditionen, die im Institut vertreten sind. «Das ist, als ob katholische, reformierte und freikirchliche Priester in einem christlichen Kloster unter einem Dach zusammenleben würden», vergleicht Peter Oberholzer.

Schier lautlos erscheint unterdessen Geshe Tenzin Jangchup, der Abt des Instituts, im Gebetsraum. In der charakteristisch rot-orangen Kutte und mit einem aufgeschlossenen Lächeln steht er den Anwesenden geduldig Rede und Antwort. Er entschuldigt sich für seine bescheidenen Englischkenntnisse, da er erst vor acht Monaten von Indien nach Rikon gekommen ist.

«Als Erstes musste ich eine warme Jacke kaufen», erzählt er und lacht herzlich. Jangchup hat 27 Jahre Buddhismus studiert und wurde, wie alle Äbte im Rikemer Institut, vom Dalai Lama persönlich für diese Aufgabe ausgewählt. Als grossen Unterschied von Indien zur Schweiz erwähnt er die Schweizer Exaktheit und Pünktlichkeit, insbesondere bei den öffentlichen Verkehrsmitteln.

Besucher identifizieren sich mit Buddhismus

Die Fragen der Besucher sind sehr tiefgründig und zeugen von einem bereits vorhandenen Vorwissen. Sie wollen beispielsweise wissen, weshalb das Institut nicht in denselben Farben wie die Klöster im Himalaya gehalten sind oder ob sich das Rikemer Institut nun offiziell als Kloster bezeichnen darf oder nicht.

Ein 47-jähriger Physiker aus Zürich, der ursprünglich aus den Niederlanden stammt, besucht das Institut zum ersten Mal. Er ist beeindruckt, wie sich die Tibeter im Exil organisieren: «Obschon sie kein eigenes Land mehr haben, schaffen sie es, ihre Kultur beizubehalten. Ich habe Respekt vor diesen geerdeten und angenehmen Menschen.» Der Wissenschaftler ist viel in der Welt herumgekommen.

Unter anderem hat er schon mehrere Jahre in Indien gelebt. Obschon er katholisch aufgewachsen sei, spreche ihn die Philosophie des Buddhismus stärker an. «Zu viele Kopfentscheidungen machen uns krank, wir müssen mehr auf unser Herz und unseren Bauch hören, mehr Empathie und Mitgefühl aufbringen.»

Julia Kempf ist mit ihrem Mann und den beiden Töchtern aus Kreuzlingen angereist. Auch sie besucht das Institut zum ersten Mal und ist begeistert: «Ich wurde eher zufällig auf dieses Kloster aufmerksam – mein Schutzengel muss mich darauf aufmerksam gemacht haben.» Die Rückführungstherapeutin ist vor zwei Jahren aus der Kirche ausgetreten, weil sie keine Verbindung mehr gespürt hat. «Mir gefällt die Philosophie der Wiedergeburt im Buddhismus.»

Das Zimmer des Dalai Lama bleibt leer

Entgegen ursprünglichen Spekulationen kommt der Dalai Lama bei seinem Kurzaufenthalt in der Schweiz diese Woche nicht nach Rikon. Nach einer Operation in den USA hat er auf dem Rückweg einen Zwischenstopp in der Schweiz eingelegt. Bei seiner Ankunft haben die Rikemer Mönche und Geschäftsführer Peter Oberholzer am Flughafen Kloten Spalier gestanden.

«Der Dalai Lama wird im Zürcher Hallenstadion eine kurze Unterweisung für rund 8000 Tibeter halten», weiss Oberholzer. Aus zeitlichen Gründen sei ihm ein Abstecher nach Rikon aber nicht möglich. «Wir finden es bedeutsamer, dass er für die 8000 Tibeter in Zürich Zeit findet.» Die Rollläden im Zimmer des Dalai Lama in Rikon, zu dem nur zwei Personen einen Schlüssel haben, bleiben daher unten.

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