Ustermer kauften Regale mit Wasser leer und kritisieren Behörden
Verschmutztes Trinkwasser
Die Meldung über das verunreinigte Trinkwasser erreichte nicht alle Menschen in Uster gleich schnell und manche nur zufällig. Dafür hagelt es jetzt Kritik.
Als Ruedi Frei aus Nänikon am Freitagmorgen das Radio einschaltete, stutzte er. Da war die Rede von verschmutztem Trinkwasser in Uster. Nach kurzer Recherche im Internet stösst der Senior auf einen Artikel von «20 Minuten». Und tatsächlich: Das Wasser in seinem Zuhause darf er nicht mehr trinken.
Zu seinem Entsetzen wurden er und die Nachbarn nicht persönlich informiert. Der 77-Jährige hat mehrere Newsletter von der Stadt und der Energie Uster AG sowie die Notfall-App Alertswiss abonniert. Doch auf keinem dieser Kanäle gab es eine Meldung.
Für ihn kam die Nachricht deshalb gut einen Tag zu spät. Er trank fast einen Tag lang unbekümmert Wasser aus dem Wasserhahn – während die Energie Uster AG bereits seit Donnerstagmorgen vom Missstand wusste. «Es ist eine Frechheit, dass uns niemand informiert hat», ärgert sich Frei.
Der Senior ist erst seit Kurzem wieder zu Hause. Wegen einer Operation – ihm wurde ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt – verbrachte der Rentner die sieben Tage davor im Spital. Ausserdem gehört er zu einer vulnerablen Gruppe.
Kaum Antworten
Frei meldet sich per E-Mail bei der Stadt Uster und bei der Energie Uster AG. Doch lediglich die Stadt meldet sich zurück. Sie verweist auf das publizierte Merkblatt – für Frei eine unbefriedigende Antwort.
Der Senior setzt sich daraufhin telefonisch mit der Energie Uster AG in Verbindung. Und auch hier wird Frei enttäuscht. Sie vertröstet ihn ebenso mit dem Merkblatt.
Frei sagt am Telefon: «Sie könnten zumindest einen Tanklastwagen in der Nähe aufstellen und Wasser verteilen.»
Und plötzlich ist die Hölle los
Anders als Frei dürfte ein Grossteil der Bevölkerung die Hiobsbotschaft schon am Donnerstagabend vernommen haben. So wurde der Getränkehändler Girsberger + Sieber AG in Riedikon kurz vor 20 Uhr regelrecht von Kunden überrannt.
Plötzlich standen die Leute Schlange für Wasser. Nur wenige Minuten zuvor wurde der erste Artikel zum verunreinigten Hahnenwasser veröffentlicht. «Normalerweise verkaufen wir um diese Uhrzeit mehr Bier als Wasser. Doch an diesem Abend war es umgekehrt», erzählt ein Mitarbeiter.
Binnen einer halben Stunde waren gut eineinhalb Paletten weg. Wie der Geschäftsführer Raphael Angehrn erklärt, bezogen die Leute zwischen 800 und 1000 Flaschen.
Dasselbe Bild zeichnete sich auch bei anderen Lebensmittelhändlern in Uster ab. Wie die Marktleiterin von Rio Uster-West sagt, hatte rund jede zweite Person Wasser erstanden. Die meisten deckten sich gleich mit mehreren Sechserpacks à Eineinhalb-Liter-Flaschen ein.
Auch bei Migros und Coop gehört Wasser zurzeit zu den beliebtesten Produkten. Beide Lebensmittelhändler bestätigen, dass die Nachfrage ungewöhnlich anstieg. Genaue Zahlen nennt allerdings keines der Unternehmen. Jedoch war der Ansturm so gross, dass die Detailhändler mit weiteren Lieferungen reagierten.


Spital Uster reagierte vorsichtshalber
Anders als Privatpersonen wurden Institutionen direkt durch die Energie Uster AG informiert. Darunter auch das Spital Uster. Dieses liegt zwar ausserhalb des Bereichs, der vom verunreinigten Trinkwasser betroffen ist, dennoch leitete das Spital Massnahmen ein. Patienten und Mitarbeitende wurden informiert, Trinkwasserspender gesperrt und Mineralwasserflaschen verteilt.
«Bei Warnungen dieser Grössenordnung sind besondere Vorsichtsmassnahmen im Spital Standard, da wir mit vielen vulnerablen Personengruppen zu tun haben», schreibt Alexander Schildknecht von der Spitaldirektion. Doch schon am Donnerstagabend stellte das Spital wieder auf Normalbetrieb um.
Werkheim Uster betroffen
Wie das Spital wurde auch das Werkheim Uster direkt durch die Energie Uster AG über die Lage in Kenntnis gesetzt. Das Werkheim bietet Wohnungen und Arbeitsplätze für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Teil des Betriebs ist ein Restaurant, das immer wieder grosse Mengen an Lebensmitteln braucht.
Gegen vier Uhr nachmittags erreichte das Werkheim ein Merkblatt mit Handlungsanweisungen. Die Institution konnte schnell reagieren. «Wir konnten gleich am Donnerstag mehrere Palette mit Wasser bestellen. Diese sind am Freitag bereits eingetroffen», erklärt Anita Kupper, Leiterin Fachstelle Kommunikation des Werkheims Uster.
«Nach Bekanntwerden der betroffenen Gebiete waren wir am Freitagmorgen jedoch unsicher, ob das Werkheim tatsächlich im betroffenen Gebiet liegt. Dies konnten wir aber schnell mit der Energie Uster klären.» Zwei der drei Standorte sind tatsächlich betroffen – dazu gehören der Hauptsitz an der Grenze zwischen Niederuster und Kirchuster sowie das Restaurant am Greifensee.
Niemand gab der Kinderkrippe Bescheid
Doch nicht jede Institution wurde persönlich von der Energie Uster AG kontaktiert. Die Kinderkrippe und der Kinderhort kidin.ch GmbH betreuen gut 100 Kinder in Riedikon. Weshalb sie nicht über das verunreinigte Trinkwasser in Kenntnis gesetzt wurden, kann Markus Steiner von der Geschäftsleitung nicht verstehen. «Wir sind enttäuscht, dass die Stadt Uster uns nicht informiert hat.»
Zwar hat die Kinderkrippe gerade Betriebsferien. Doch: «Am Donnerstag führten wir einen Ferienplausch-Kurs durch, an dem ungefähr 18 Kinder teilnahmen und Wasser vom Hahn tranken.»
Und auch die öffentlichen Brunnen sprudelten noch munter weiter. Erst am Freitag gegen 10.30 Uhr registrierte Senior Ruedi Frei einen Mitarbeiter der Energie Uster AG, der bei einem Brunnen in Nänikon einen Warnhinweis aufhängte. Für den 77-Jährigen ist klar: «Für solche Fälle benötigt man ein Notfallkonzept. Aber niemand reagierte richtig.»