Der Ort für Cordons bleus und Gämsen
«Ab auf die Hütte» – Teil 1
Stammtische und ausgefallene Geschmackskombinationen erwartet man nicht in einem Bergrestaurant. Doch die Poo-Alp ennet der Kantonsgrenze machts vor.
Die Poo-Alp ist für zwei Dinge bekannt: Gämsen und Cordons bleus. Während Letzteres als Hausspezialität garantiert im Restaurant zu haben ist, braucht es für Ersteres etwas Glück, um sie zu Gesicht zu kriegen. Dem Glück nachhelfen kann, wer in den frühen Morgen- oder Abendstunden hier oben ist, wenn die Tiere auf der Wiese unterhalb des Restaurants äsen.
Vor Kurzem waren gleich zwölf Exemplare aufs Mal zu sehen, wie Ueli Müller aus Goldingen erzählt. Er ist Revierpächter dieses Gebiets und immer wieder einmal auf der Poo-Alp zu Gast. Schliesslich bezieht das Restaurant auch die Gämsen von ihm, die im Herbst als Gamspfeffer serviert werden.
Arbeitsteilung zwischen Hof und Restaurant
Neben der «sensationellen» Gegend mit ihrer schönen Natur zeigen sich Müller und seine Frau Friedericke auch begeistert von den «flotten Wirtschaftsleuten», die sehr sympathisch und unkompliziert seien.
Das so beschriebene Paar sind Martina und Geni Kessler-Loop. Er kümmert sich um den Landwirtschaftsbetrieb mit 20 Aufzuchtrindern und Schweinen. In den Sommermonaten kommen noch bis zu 100 Rinder hinzu, die teilweise aus Uster und Esslingen stammen und hier oben weiden. Sie schaut für das Restaurant.
Die Berge fehlen
Seit zehn Jahren wohne sie auf der Poo-Alp, erklärt die 40-Jährige, die von Flumserberg stammt. Auch wenn die Gegend hier wirklich schön ist, hatte sie zu Beginn Mühe mit der für sie neuen Umgebung auf 1086 Meter über Meer, die von bis 1300 Meter messenden Höhen eingerahmt wird: «Hier hat es keine Berge!»

Auch wenn die Hügel rundum noch immer gleich hoch sind, hat sie sich längst mit der Poo-Alp angefreundet. Diese liegt auf St. Galler Boden, ist aber keinen Kilometer von der Grenze zum Kanton Zürich entfernt und kann auch nur über Zürcher Gebiet angefahren werden.
Der aussergewöhnliche Name
Auf Anfang Jahr hat Martina Kessler zusammen mit ihrem Mann den gesamten Betrieb, den sie beide seit 2015 leiten, erworben. Vor ihnen hatte ihre Schwiegermutter 32 Jahre lang die Poo-Alp geführt. Doch wie schreibt sich die vor rund 600 Jahren gegründete Alp überhaupt richtig? Zu finden sind unterschiedliche Versionen. Während der Kanton und die Landestopografie Boalp verwenden, ist auf den Anfahrtstafeln der Gemeinde Wald Pooalp zu lesen. Die Kesslers bevorzugen die schon früher verwendete Schreibweise mit einem Bindestrich: Poo-Alp.
Und woher kommt der Name? Sicher nicht vom Hinterteil. Ein Indiz findet sich in der um 1550 in einem Dokument erwähnten Formulierung «umb die alpt Bon». Die beiden Botaniker John Spillmann und Rolf Holderegger gehen in ihrem Buch über die Alpenpflanzen des Tössberglands davon aus, dass der Name von einem früheren Bohnenacker herrührt. Die Bauernbetriebe waren im Mittelalter ganz auf Selbstversorgung ausgerichtet.
Spezielle Kombinationen
Bohnen mögen auf der Poo-Alp auch heute noch auf dem Teller landen, vorzugsweise aber sind es Cordons bleus, für die viele Gäste von weit her zur Alp hochwandern oder mit dem Velo oder dem Auto anfahren. Die wahlweise vom Schwein oder vom Kalb erhältlichen, mit Schinken und Alpkäse gefüllten Schnitzel sind in vier Variationen zu haben. Neben der Grundvariante ist das mal süss mit Ananas, mal rustikal mit Zwiebeln und Speck oder scharf mit Salami und Chili-Käse.
Und jeden Monat gibt es zusätzlich noch eine Variante, die die üblichen Kombinationen durchbricht. Im Juli gibt es Erdbeeren und Kokos im Cordon bleu. «Wir pröbeln viel aus», meint die gelernte Fachfrau Hauswirtschaft, die in der Küche steht und auch im Service mithilft. «Im August dürfte es wohl etwas mit Zwetschgen geben.»
Die Gäste zeigen sich sehr offen für Ungewöhnliches. «Wir haben jedenfalls noch nie einen Monatshit gehabt, der nicht lief», meint Martina Kessler. «Super» nachgefragt worden sei auch die ausgefallene Kombination von Schinken, Alpkäse, scharfer Salami, in Sherry eingelegten Kirschen und schwarzer Schokolade.
Mehr Zeit für die Familie
Obwohl die Poo-Alp auch ein klassisches Ausflugsrestaurant ist, kann Martina Kessler nicht in die Klagen von anderen Wirten einstimmen, die das schlechte Wetter für fehlende Kundschaft verantwortlich machen. «Wir haben dieses Jahr regelmässig Gesellschaften gehabt und können auch auf viele Stammkunden zählen.» So seien die bis zu 80 Plätze in Restaurant und Saal gut ausgelastet gewesen. Ein grosser Vorteil sei, dass die Poo-Alp über eine geteerte Zufahrtsstrasse von Wald her gut erreichbar sei.
«Einzig die Terrasse konnten wir noch nicht so viel nutzen», hält die Wirtin fest. Es sei mit dem Wetter wirklich mühsam gewesen. Kaum habe man draussen bei einem Sonnenstrahl aufgetischt, habe sie mit ihrem Team wieder abräumen müssen, wenn plötzlich Regen eingesetzt habe.
Und wenn es heute einige Gäste weniger sind als noch vor ein paar Jahren, so ist das willkommen und letztlich ein bewusster Schritt. «Mit der Geburt unserer Tochter vor drei Jahren haben wir zurückgefahren», hält Kessler fest. Die grosse Karte und die Tagesmenüs wurden gestrichen. Die Zahl der Ruhetage wurde auf drei erhöht. Und auch auf die bis vor zwei Jahren noch geführten Milchkühe haben sie verzichtet. Das alles soll dem Familienleben mehr Platz verschaffen. Und der ist auch nötig, denn soeben kommt die Tochter. Die Schnecke im Sandhaufen muss entfernt werden.
Alle willkommen
Für eine bessere Personalplanung ist die Wirtin froh um Reservationen. Sie musste allerdings feststellen, dass sich die Gäste seit Corona weniger anmelden. Und dass sich seither auch das Verhalten verändert hat. «Es kommt vor, dass vor einem ‹Grüezi› gleich schon mal das WLAN-Passwort verlangt wird.» Ihr ist wichtig, dass die Poo-Alp ein Lokal für alle bleibt: «Bei uns ist jeder und jede willkommen, ob diese nun Wander- oder Lackschuhe tragen.»
Diese Offenheit begrüssen auch ein älteres Paar, das mit dem Auto angefahren ist, und zwei Wanderer. Die vier aus Hinwil und Dürnten haben sich zufällig in der Poo-Alp getroffen und gemütlich miteinander gespeist. «Schön, sind hier auch Hündeler willkommen», betont Ruedi Benedetti. Und der Dürntner Gemeinderat Thomas Honegger schiebt nach, dass eben auch die Cordons bleus über eine hohe Anziehungskraft verfügten.
Stammtisch in der Höhe
Seit bald 40 Jahren kommt jeden Montag eine Stammtischrunde aus Waldern und Wetzikern zusammen. «Leider schrumpft diese altershalber immer mehr», meint Heinz Müllhaupt. Einer sei bis zum Schluss regelmässig gekommen, auch noch im Alter von 93 Jahren. «Der hatte immer einen Witz auf Lager.» Martina Kessler setzt sich zur Runde und spendiert einen «Appenzeller». «Mit gefällt der Kontakt mit den Leuten.» Das gehöre zu ihrem Beruf.
Sonntagmorgens wird der Stammtisch vergrössert, wenn die umliegenden Bauern und Nachbarn in der Poo-Alp zusammenkommen. «Das ist dann Genis Runde», meint Martina Kessler. Doch für eine Woche müssen sich alle Gäste ein anderes Lokal suchen, denn vom 23. Juli bis und mit 1. August ist das Restaurant geschlossen: Sommerferien. «Das ist auch eine dieser Neuerungen, die wir mit der grösseren Familie eingeführt haben», meint die Poo-Alp-Wirtin.
Sommerserie «Ab auf die Hütte»
Im Sommer zieht es viele Menschen in die Höhe. Eine beliebte Destination sind die zahlreichen Hütten und Alpen im Oberland und im Tösstal. Was sind das für Menschen? Und wer sorgt dafür, dass der Betrieb immer reibungslos läuft? In einer mehrteiligen Serie zeigen wir Ihnen verschiedene Hütten in der Region – und die Menschen, die sie ausmachen.
Teil 1 – Cordons bleus und Gämsen auf der Poo-Alp.