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Gesellschaft

Vollmond-Geschichten vom Nachtwächter in Grüningen

Ein Nachtwächter aus dem Mittelalter und eine redselige Müllerin führen im Stedtli durch die heitere Geschichtsstunde. Bei nur 8 Grad und eisiger Bise.

Der Nachtwächter und seine Laterne: Am Freitagabend fand bei Vollmond in Grünigen ein Spaziergang statt., Der Nachtwächter und die Müllerin erzählten Geschichten aus längst vergessenen Tagen.

Fotos: Christian Merz

Vollmond-Geschichten vom Nachtwächter in Grüningen

Ausverkauft, meldet Monika Bosshard von der Grüninger Gemeindratskanzlei. Alle 30 Tickets für den Vollmond-Spaziergang vom Freitagabend sind weg. Auch die Zusatzveranstaltung vom Samstag ist ausgebucht. 20 Franken zahlen die Teilnehmer für einen Spaziergang mit Geschichtsstunde.

Die als Müllerin verkleidete Laienschauspielerin Claudia Frei orakelt unterwegs: «Den Vollmond müsst ihr euch gut vorstellen.» Später mehr dazu. Müller war im Mittelalter der Handwerker, der vor allem Mehl oder Futtermittel herstellte.

Start im Schlosshof

Es geht im Schlosshof los. Der Nachtwächter, mit schwarzem Hut, langem schwarzen Mantel, Hellebarde und Feuerhorn, erklärt seinen Job: «Wir mussten für Ruhe und Ordnung sorgen. Bei Bränden warnten wir die Bürger mit dem Horn. »
 

Der Grüninger Nachtwächter mit Hellebarde

Nachts hätten die Nachtwächter alle Stadttore schliessen müssen. Die Hellebarde diente dazu, den möglichen Feind anzuhalten, ihn zu verhaften oder in die Flucht zu schlagen. « Wir mussten die Stunden ansagen und alle Strassenlaternen anzünden und wieder löschen.»

Die Müllerin ergänzt: «Neben dem Totengräber und dem Henker kam der Nachtwächter.» Offenbar kein beliebter Beruf damals. Die Müllerin: «In der Nacht wurde gebetet und geschlafen, aber nicht gearbeitet.»

Unzucht des Müllers Sohn und der Magd

Vor dem Pfarrhaus erzählt der Nachtwärter eine schlüpfrige Geschichte von vorehelichem Geschlechtsverkehr. Sie trug sich in Grüningen im 17. Jahrhundert zu. Aufgedeckt hat sie ein ein sogenannter « Ehegaumer » .

Das waren Verwahrer der ehelichen Treue, Kirchenälteste, die nebst den Pfarrern auf die Handhabung von Religion, Sitten und Ordnung zu wachen hatten.

«Die Ehegaumer mussten schauen, wer ‘umechäschperlet’ »
Grüninger Nachtwächter

Der Nachtwächter, gespielt von Matthias Flöscher, erzählt bei eisiger Kälte und bissiger Bise: «Die Ehegaumer mussten schauen, wer ‘ umechäschperlet’. Eines Nachts sah der Sohn des Landvogtes, dass bei einer Magd, die ihm gefiel, noch Licht brannte. Er stieg dank der Hilfe von Efeu die Hausmauer hoch und sah, dass der Sohn des Müllers aus der Magd lag. Der Pfarrer hat die beiden dann zur Hochzeit gezwungen.»

Als Strafe durfte die Braut bei der Feier kein Kränzchen tragen, der Bräutigam keine Schärpe. «So hat das ganze Dorf gewusst, dass die beiden schon vorher zusammen im ‘Näscht’ waren», so die Schilderungen des Nachtwächters.

Lichterloher Brand im Gasthaus

Auf dem Weg zum Chratzplatz gibt es die Geschichte von der dritten Grüninger Feuerbrunst zu hören. Konrad Wiederkehr, Sohn des Schuhmachers vom Chratzplatz, sieht in der Nacht vom 4. auf den 5. November 1685 auf dem Heimweg, dass das Gasthaus Bären lichterloh brennt.

Der Nachtwächter weiss zu berichten: «Er hupet, so dass alle aus ihren Häusern rannten. So hat er ganz viele Leben gerettet. 13 Häuser sind bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Nur der Hirschen hat nicht gebrannt.»

Der Grund dafür ist simpel. Erhielt der Hirschen doch nach dem Brand von 1551 eine Brandmauer mit Treppengiebel, die auch heute noch besteht.

Weiter geht es danach zum Chratzplatz. «Hier haben die einfachen Handwerker draussen gearbeitet. Es hat gestunken und war ‘gruusig’», erzählt die Müllerin. Dann geht der Spaziergang weiter. Und plötzlich, siehe da: Der Vollmond ist hinter einem Sahara-Schleier zu sehen.

Ein Grüninger, der sich im Krieg bereicherte

Die Nachtwanderung wird derweil von der nächsten Erzählung untermalt. 1799 kämpften die Russen gegen die Franzosen. Mitten in Zürich.

Der Grüninger Captain Heinrich Stadtmann gab den Russen, die ohne Verpflegungstrupp unterwegs waren, Kost und Logis.

Seither hält sich in Grüningen das Gerücht, Captain Stadtmann habe den Russen die Kriegskasse geklaut und sei so zu seinem unermesslichen Reichtum gekommen. Der Captain liess sich ein riesiges Haus bauen, es ist das heutige Gemeindehaus.

Verbote und ein toter Bürgermeister

Im 15. Jahrhundert wurde den Grüningern Kegeln und Familienfeste verboten. Einen Volksaufstand gab es, als der Zürcher Bürgermeister Hans Waldmann befahl, die wildernden Hunde der Bauern zu töten. Es war der Anfang vom Ende von Waldmann.

2000 aufgebrachte Bürger zogen nach Zürich. Waldmann wurde am 6. April 1489 in Zürich mit dem Schwert enthauptet. Den Grüningern war das Kegeln wieder erlaubt. Und sie durften, auch mit Hilfe ihrer Hunde, wieder Bären und Wildschweine jagen. Einzige Bedingung: Die Köpfe der erlegten Tiere mussten sie dem Landvogt bringen.

Zum Schluss des Rundgangs verliest der Nachtwächter den Nachtwächterspruch: «Ihr Leute im Dorfe, lasst euch sagen, der Glock am Turm ist acht. Nicht lang, so wird es wieder tagen, drum auf und geht zu Bett. Denn nur der gilt in der Gemeinde, der rüstigt wirkt und schafft, der sorgt getreulich für die Seinen, bis ihn der Tod entrafft.»

(Max Kern)

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