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Gesellschaft

Die stählerne Kuh vom Reipenhof

Täglich frische Milch trotz Corona: Ob geschlossene Läden am Sonntag oder der Respekt vor Menschenmassen in Läden, Selbstbedienungs-Automaten boomen während der Pandemie. Ab dieser Woche gibt es auch in Grüningen eine Milchtankstelle mit frischer Rohmilch rund um die Uhr.

Remo Achermann und Nanina Wyss haben auf dem Reipenhof Grüningen einen Milch-Automaten aufgestellt. , Während Corona boomen in der Schweiz Selbstbedienungs-Automaten., Die Milch kommt direkt von den 28 Kühen des Stalls. , Zwei Mal am Tag wird mithilfe der Maschine gemolken. Remo Achermann verzichtet so gut es geht auf den Einsatz von Antibiotika. , Die frische Rohmilch sollte vor Verzehr abgekocht werden, wird jedoch häufig kontrolliert. Im Kühlschrank hält sie 3 Tage., Der Reipenhof will mit dem Automaten zeigen, dass ihm die Qualität der Produkte am Herzen liegt. , Für den Automaten braucht es Münz (1 Liter kostet 1.20 Franken) und einen eigenen Behälter.

Lea Ernst

Die stählerne Kuh vom Reipenhof

Auf dem Reipenhof in Grüningen steht eine neue Kuh. Sie ist kantig, weiss-silbern und lässt sich ganz einfach per Knopfdruck melken. Kalt und sämig strömt die Milch aus ihr heraus. Doch sie schmeckt irgendwie anders. Denn das ist Rohmilch, da im Milch-Automaten. Das heisst, die Milch kommt direkt von den 28 Kühen des Hofes, wird nicht pasteurisiert und ist jetzt in Selbstbedienung rund um die Uhr erhältlich. Trotz Corona.

Selbstbedienung ist Corona-Gewinner

Die Pandemie lässt die sogenannten Milchtankstellen boomen: Um ganze 70 Prozent habe der Verkauf der Automaten im vergangenen Jahr zugenommen, sagt Alfred Bruni, Geschäftsführer der Brunimat GmbH und Produzent der Maschinen.

Doch auch die Höfe, auf denen schon vor Corona ein solcher Automat stand, haben den Boom bemerkt. «Noch in keinem der sieben Jahre zuvor haben so viele Leute frische Milch von unserem Automaten gezapft», sagt Urs Altorfer vom Hof Müselacher in Bertschikon. Solange die Milch-Automaten wie jene von Selecta im Freien stehen, dürfen sie gemäss dem Zürcher Bauernverband auch sonntags geöffnet bleiben. 

«Der Verkauf von Milch-Automaten ist während Corona um 70 Prozent gestiegen.»

Alfred Bruni, Geschäftsführer Brunimat GmbH

Einen Grossteil des Jahres verbringen die Kühe des Reipenhofs in Grüningen draussen auf den Weiden. Doch solange diese von einer dicken Schneedecke überzogen sind, bleiben die Tiere im Stall. Der warme Geruch nach Stroh und lautes Gemuhe schlagen einem dort entgegen.

Genau das ist neben den Ladenöffnungszeiten der zweite Grund, der wohl viele Menschen während Corona für frische Milch oder Eier extra auf einen Bauernhof karren lässt: Die Verbundenheit mit der lokalen Natur. Die hat man in der Pandemie wieder neu zu schätzen gelernt.

Gemäss Charlotte Keller vom Zürcher Bauernverband haben die Konsumenten das Einkaufen in kleineren Läden ohne Besucherströme genossen: «Und durch das vermehrte Kochen zu Hause haben die Leute den Wert der regionalen Produkte kennengelernt», sagt sie. Automaten-Verkäufer Bruni stimmt zu: «In Krisenzeiten wird die einheimische Produktion wieder viel stärker geschätzt.» Dies sei besonders bei Grenzschliessungen zu spüren. 

Junge Bauern wie Achermann glauben an ihren Beruf 

Diese Entwicklung freut Bauer Remo Achermann vom Reipenhof Grüningen, denn er sorgt sich um den Ruf der Bauern. «Täglich müssen Betriebe in der Schweiz endgültig schliessen, weil sie nicht mehr mit den Grossproduzenten mithalten können», sagt er. «Dabei stimmt es gar nicht, dass wir einfach nur die Subventionen des Staates einsacken und stagnieren.» Seit vier Jahren führt Achermann den Hof seines Vaters, seit einem Jahr zusammen mit Nanina Wyss, seiner Verlobten. 

Weshalb er nach wie vor auf die Milchproduktion setzt? «Ich bin jung», sagt Achermann. «Und ich habe grosse Freude an meinem Beruf und Lust, neue Dinge auszuprobieren.» Mit den Milch- und auch dem Eier-Automaten will Achermann den Leuten nun zeigen, dass Bauern die Qualität ihrer Produkte auch heute noch am Herzen liege. So verzichte er so gut wie möglich auf den Einsatz von Antibiotika und Pestiziden, sagt Achermann. «Und diese Qualität sollte es doch wert sein, bewahrt zu werden.»

Von der Kuh zum Konsumenten 

Im Unterschied zu pasteurisierter oder wärmebehandelter Milch im Laden wird Rohmilch weder erhitzt noch anderweitig bearbeitet. «Die Konsumenten sollen hier direkt sehen können, woher die Milch in ihrem Kaffee ursprünglich kommt», sagt Achermann. Nur ein Bruchteil der Menschen melkt täglich eine Kuh, die Mehrheit weiss jedoch nicht mehr, wie viele Zitzen überhaupt an einem Euter hängen. «Es sind vier», sagt Achermann. Oder wie viele Liter Milch eine Kuh pro Tag gibt. «Hier ungefähr 19.»

«Die Konsumenten sollen sehen, wo die Milch in ihrem Kaffee herkommt»

Remo Achermann, Inhaber Reipenhof Grüningen 

Gemolken werden die Kühe zwei Mal am Tag, einmal morgens, einmal abends. Haltbar ist die unbehandelte Rohmilch 3 Tage. Sie schmeckt leicht süsslich, sämig und natürlich. Doch auf dem Milch-Automaten warnt ein Aufkleber: «Vor dem Verzehr abkochen». Denn unbehandelte Rohmilch kann gefährliche Keime enthalten. Doch die Milch des Reipenhofs werde mindestens zwei Mal im Monat streng von der Genossenschaft kontrolliert, die sie kauft, beruhigt Achermann. «Sollte da etwas nicht stimmen, würden wir es umgehend erfahren», sagt er. 

Auf den Transport im Lastwagen möchte Achermann so oft wie möglich verzichten: «Ich will die Milch direkt von der Kuh an die Konsumenten bringen», sagt er. Am Milch-Automaten kann deshalb jede Person für 1.20 Franken pro Liter Milch zapfen – vorausgesetzt, sie hat Münz dabei. Und einen eigenen Behälter,  «der Umwelt zuliebe», erklärt Achermann.

Hinter dem Milchautomaten verbergen sich aber nicht nur wirtschaftliche Erwartungen. Er erhoffe sich «wieder mehr Kontakt zu den Leuten, die auf dem Reipenhof vorbeikommen», sagt Achermann. Er geniesse es immer sehr, wenn jemand auftauche, Fragen stelle oder den Stall sehen möchte, sagt er und tätschelt seine neue, stählerne Kuh. 

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