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Gesellschaft

Er fand über einen Toten zu seiner Berufung

Christian Merz ist ein gefragter Fotograf, arbeitet regelmässig für den ZO/AvU und bekam jüngst eine renommierte Auszeichnung für sein Schaffen. Zuerst sah es gar nicht nach einer grossen Karriere aus.

Der Mönchaltorfer Fotograf Christian Merz mit einem Teil seiner Arbeitsgeräte. , Mit diesem Bild hatte er den Swiss Press Photo Award 2019 in der Kategorie Alltag gewonnen. , Ein Bild von Merz von der Knie-Tournee 2017, Oder vom Sänger Sting bei seinem Auftritt in Dübendorf., Ein Bild von Merz aus dem Jahr 2014 zum 3.Ligaspiel FC Russikon gegen FC Zürich-Affoltern.

Christian Merz

Er fand über einen Toten zu seiner Berufung

Christian Merz bekam einen blutgetränkten Pulli mit einem Loch. Das Loch stammte von einem Messereinstich – der Pulliträger war schon längst tot. Merz‘ Auftrag: Den Pulli für die Staatsanwaltschaft zu fotografieren. Perspektive unwichtig, goldener Schnitt egal, eine geringe Tiefenschärfe unerwünscht. Gefragt war eine brauchbares Foto, geschossen in einem klinischen Raum, als Beweismittel für den Prozess. Sieben oder acht Jahre ist das nun her.

Merz arbeitete für die Kriminalpolizei Zürich und fotografierte ein Jahr für das forensische Institut in Zürich. «Als kreativer Fotograf bist du bei der Polizei am falschen Ort», sagt Merz. Der heute 35-jährige Profifotograf und Preisträger des Swiss Photo Award 2019 in der Kategorie Alltag klemmte seine kreative Ader während seiner Polizeikarriere ab – zwölf Jahre lang.

«Man wird als überkorrekter Beamter, «Tüpflischiesser» oder ganz anders als Rambo des Gesetzes schubladisiert.»

Christian Merz, Fotograf

Von der Muse wachgeküsst wurde er, nachdem er auf die Konfirmation im Jahr 1998 eine Spiegelreflexkamera bekommen hatte. Wieso er sich diese gewünscht hatte, weiss Merz nicht mehr. «Es war ein teures Geschenk und meine Schwester besass eine», sagt er.

Autodidaktisch zum Fotografie-Handwerk

Sein erstes Foto schoss er vom Greifensee. Als gebürtiger Mönchaltorfer ein naheliegendes Sujet. Danach knipste Merz Film um Film, das kostete ihn viel Geld. Monatlich fiel fast der gesamte Polymechanikerlehrlingslohn, den er bei der Empa in Dübendorf verdiente, den Filmen und deren Entwicklung im Fotogeschäft zum Opfer. Während der Lehre hatte er einen kurzen Fotokurs besucht, den Rest hatte er sich selber beigebracht.

Nochmals alles Geld zusammengekratzt hatte er um die Jahrtausendwende für eine der ersten digitalen Spiegelreflexkameras auf dem Markt. Leisten konnte er sich damals nur eine gebrauchte. Und damit klopfte er bei der Presse an. Für den Zürcher Oberländer und andere Lokalzeitungen war der Umgang mit den digitalen Bildern noch neu. «Ich war mit meinen Bildern ein Vorreiter. Die anderen Fotografen arbeiteten noch mit analogen Geräten», sagt Merz.  

Noch während der Lehre fotografierte er an den Wochenenden Regionalfussballspiele für die Zeitung. Das verdiente Geld investierte Merz gleich wieder in neue Objektive und bessere Ausrüstungen. «Ein paar Tausender waren schnell weg», sagt er. So machte er es bis zum Abschluss der Lehre. «Dann ist etwas Entscheidendes passiert», sagt Merz.

Polizeischule ahoi – Fotokarriere ade

Damit meint er nicht die Rekrutenschule, die war nach 15 Monaten gegessen. Vielmehr beschloss er, die Aufnahmeprüfung für die Polizeischule der Stadtpolizei zu machen, die seine Fotografiekarriere jahrelang auf Eis legen sollte. Seine Mutter hat ihm das vorgeschlagen und Merz hörte auf sie. Dabei wollte er sich ursprünglich weiter als Fotograf professionalisieren, fand aber keinen Weg dahin. Drei Monate war er arbeitslos, bis er die Aufnahmeprüfung machte.

«Jeder muss sich sein eigenes ‹Gärtli› schaffen.»

Christian Merz, Fotograf

Die Prüfung schaffte er locker. Dann arbeitete er als uniformierter und anschliessend als Kriminalpolizist. Gerne spricht er nicht über seine Vergangenheit als «Bulle». Zu sehr haften seiner Meinung nach Klischees an der Berufsgattung. «Man wird als überkorrekter Beamter, «Tüpflischiesser» oder ganz anders als Rambo des Gesetzes schubladisiert.» So hatte sich Merz nie gesehen. Er machte den Job gerne. «Ich war aber nie ein Vollblutpolizist.»

Berührt haben ihn vor allem die Suizidfälle. An einen der ersten mag er sich noch erinnern. Eine Meldung, dass sich ein Mann in einer WG die Pulsadern aufgeschnitten hatte. Stadtpolizist Merz wusste nicht, was ihn erwartete. «Der Mann lag in seinem Blut und der Raum sah aus wie nach einer Schlachterei.»

Das Polizistenehepaar

Damit konnte und musste Merz umgehen. Was ihm fehlte, war die kreative Arbeit. Er musste nach dem Regelwerk, nach dem Gesetz handeln. Viel Spielraum blieb nicht – so wie bei der Fotografie des zerstochenen Pullis.

Und da war noch die Liebe. Die hatte er ebenfalls bei der Polizei kennengelernt. Sie Polizistin und er Polizist, das schien zu passen. 2012 heirateten die Beiden. Doch es passte nicht. Ins Detail will er nicht gehen. 2016 kam die Scheidung. Nicht nur von der Frau, sondern auch gleich von seinem Beruf als Polizist.

Danach setzte er voll aufs Fotografieren. Merz kann sich heute behaupten: «Ich bin wöchentlich oft gleich ausgelastet wie damals als Polizist und verdiene etwa gleich viel. Wichtig ist, dass ich mich nicht zu lange aus dem Geschäft zurückziehe.» Vier Wochen Ferien hatte er sich im letzten Jahr gegönnt. Dabei war er aber immer per Mail oder Telefon erreichbar.

Denn die Konkurrenz ist in der Fotografie gross. «Jeder muss sich sein eigenes ‹Gärtli› schaffen», sagt Merz. Sein «Gärtli» hat sich Merz heute abgesteckt. Seine Fotos erscheinen sowohl in den lokalen Medien als auch im Namen von Keystone in nationalen Titeln wie «Blick», «NZZ» oder «Tages-Anzeiger». Aus dem «Gärtli» geworfen hat Merz die Hochzeitsfotografie. Dazu ist sein Auftragsbuch zu voll.

Der Glaube an Gott

Selbst will er sobald nicht mehr heiraten. Vorerst auch nicht seine Freundin, mit der er seit zwei Jahren zusammen ist. Kennengelernt hat er sie, als er sie für einen Auftrag portraitierte. Sie gibt ihm Halt. 

Dies tut auch der Glauben, der für Merz das Fundament seines Lebens ist. Regelmässig geht er an den Gottesdienst der Freikirche ICF in Dübendorf. «Nicht die Fotografie bestimmt meinen Wert als Mensch, sondern Gott.» Das ICF hat ihn mehr angesprochen als die Landeskirche.

Traumberuf Pilot

Himmlisch, wenn auch nicht in spiritueller, sondern in technischer Hinsicht, ist für Merz die Fliegerei. Pilot war sein Traumberuf. Wegen einer diagnostizierten Asthma-Erkrankung wurde ihm diese Karriere verwehrt. Den Pilotenschein hatte er dennoch gemacht. Heute geht er hin und wieder mit einem gemieteten Sportflieger in die Luft. Viel hält er sich auch am Flughafen Zürich auf, um Flugzeuge bei aussergewöhnlicher Wetterstimmung zu fotografieren.

Geblieben von seiner Zeit als Polizist sind ihm seine wachen Augen und die Autorität. Beides hilft ihm heute. So wie kürzlich, als Merz in Mönchaltorf die Einweihung des Dorfarchivs fotografierte. Dann wurde aus dem zurückhaltenden Fotografen der Polizist, der Anweisungen gab, der gestandene Gemeindevertreter wie Puppen vor ein Regal stellte und sie mit Ordnern und Dokumenten drapierte. Dann stand Merz auf eine Bockleiter für die spezielle Perspektive, stellte Blende und Verschlusszeit ein, machte ein paar auflockernde Sprüche und schon lachten alle – klick, klick, klick. Danach kam selbst ein scheinbar öder Anlass wie eine grosse Party daher.

Katzenmärchen und der Fussballclub sind Teil der Mönchaltorfer Geschichte

29.03.2019

Eröffnung Dorfarchiv Das Dorfarchiv war einst eine Grümpelkammer mitten in Mönchaltorf. Beitrag in Merkliste speichern

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