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Zweites Leben für den Schatz von «Foto Ernst»

Im Lager von Fritz Ernst in Bauma stapelt sich altes Fotomaterial bis unter die Decke. Die Räume waren das Nebenlager seines Fotogeschäfts in Zürich. Fotografin Nicole Gerber nutzt die Sammlung jetzt für eine Kunstaktion.

Mit den Jahren kam einiges zusammen. Das Lager in Bauma von Fritz Ernst wurde nun aufgelöst. (Bild: Seraina Boner)

Zweites Leben für den Schatz von «Foto Ernst»

Von aussen wirkt das Gewerbegebäude an der Strasse von Bauma nach Saland marode und heruntergekommen. Doch dahinter verbirgt sich ein Schatz. Hier befindet sich das Lager des Stadtzürcher Fotofachgeschäfts Foto-Ernst.

Ein Gang durch die Räume ist wie eine Reise in die Vergangenheit. Was sich hier über die Jahre angesammelt hat, gehört eigentlich in ein Museum für analoge Fotografie. Vergrösserungsgeräte, Stative, Diaprojektoren, Kisten mit Fotopapier und reihenweise Regale mit Blitzgeräten, Objektiven und alten Kameras aller Marken.

Und dabei ist das noch längst nicht alles. Das Lager in Bauma ist nur eine Aussenstelle. Das Hauptgeschäft von Foto-Ernst befindet sich in Zürich. Auch dieses ist gefüllt mit altem Fotomaterial. Doch nun wird diese riesige Sammlung aufgelöst, Inhaber Fritz Ernst hat sein Geschäft an die Ledermann Immobilien AG verkauft, samt Inventar.

Ein Leben als Fotofachhändler

Ein Hirnschlag war der Grund, warum Ernst sein Geschäft aufgeben musste. «Es wurde einfach zu viel», sagt der 87-Jährige. Ohne Nachfolger und kinderlos blieb ihm nichts anderes übrig, als alles zu verkaufen. Sieben Jahrzehnte lang – seit er mit 16 Jahren die Lehre begann – arbeitete Ernst in dem Fotofachgeschäft, das einst sein Vater gegründet hatte. Ein anderer Beruf kam für ihn nie infrage. «Es war immer klar, dass ich den Familienbetrieb übernehmen werde.»

Das Lager in Bauma kam erst Jahre später hinzu. «Ich habe ein Ferienhaus in Sternenberg. Am Wochenende war ich oft hier», sagt Ernst. Als der Platz im Zürcher Geschäftslokal zu eng wurde, mietete er die Räume in Bauma dazu. Diese dienten aber nicht nur als Lager, sondern auch als Verkaufsstelle. «Unter der Woche war ich in Zürich im
Laden, samstags hatte ich das Geschäft hier in Bauma geöffnet», sagt Ernst.

Digitalkameras sind ihm ein Gräuel

An der Fotografie fasziniert ihn besonders die Technik. Von den feinmechanischen Abläufen in einer Kamera bis zur Bild­entwicklung. Moderne Digitalkameras sind ihm ein Gräuel. «Fotografie ist ein Handwerk», sagt er. Doch die Digitalfotografie habe vieles verändert.

«Ihre Fotografin, die das Bild für den Artikel machte, hat in den paar Minuten, die sie hier war, bestimmt fünfzig Mal abgedrückt», sagt er. «Früher hätte man vielleicht drei Bilder gemacht.» Doch zuerst hätte man sich genau überlegt, wie das Bild aussehen sollte und an der Kamera die entsprechenden Einstellungen vorgenommen.

Ein verborgener Schatz

Ernsts Faszination für analoge Fotografie teilt Nicole Gerber. Die Kamerafrau und Fotografin aus Zürich hat es sich zur Auf­gabe gemacht Ernsts Sammlung zu retten. Die beiden hatten sich vor drei Jahren kennengelernt. «Ich bin oft mit dem Velo am
Geschäft in Zürich vorbeigefahren», sagt sie.

Eines Tages traf sie vor dem Laden auf Fritz Ernst und sprach ihn an. «Als ich zum ersten Mal das Innere des Ladens sah, traf mich fast der Schlag», sagt sie. Ihr sei sofort klar gewesen, dass sie hier einen Schatz vor sich hatte. «Ich begann zu überlegen, wie man diese Sammlung für mehr Leute zugänglich machen könnte.»

Fans der analogen Fotografie

Daraus entstand die Idee für ein Kunstprojekt. Gerber bewarb sich für einen Parallel-Event an der europäischen Biennale für zeitgenössische Kunst «Manifesta», die diesen Sommer in Zürich stattfindet. Aus über 300 Bewerbern wurde ihr Projekt schliesslich ausgewählt.

Ihre Idee: Das alte Fotogeschäft Foto-Ernst soll im Rahmen der Kunstmesse wiederbelebt werden und mittels diverser Aktionen wie Kursen oder Ausstellungen zu einem Treffpunkt für Fans der analogen Fotografie werden.

Neues Leben für alte Kameras

Als Gerber vom Verkauf der Liegenschaft erfuhr, musste sie schnell handeln. «Glücklicherweise erlaubte uns der Käufer, das Inventar auszusortieren und die besten Stücke zu retten.» Seit Wochen durchforstet sie darum zusammen mit anderen Fotografen, die am Projekt mitarbeiten, die Lagerräume in Zürich und Bauma. Bis Ende dieser
Woche hatten sie Zeit, alles abzutransportieren, was erhaltenswert sein könnte.

Ein Teil des Materials soll während der Manifesta ausgestellt oder verkauft werden. Mit einem anderen Teil organisierte Gerber kürzlich drei Foto-Flohmärkte im Foto-Ernst-Geschäft in Zürich. «Diese alten Kameras sollen wieder unter die Leute kommen, benutzt werden», findet Gerber. Die Kunden standen vor dem Geschäft Schlange. Ein kleiner Teil der Einnahmen aus dem Flohmarkt fliesst in Gerbers Parallel-Event an der Manifesta.

Handwerk wiederbeleben

Fritz Ernst steht etwas zerknirscht daneben und beobachtet, wie die Fotografen Gegenstände aus seiner Sammlung in einen Lieferwagen laden. «Ich kann verstehen, dass es für ihn nicht einfach ist, zuzuschauen, wie wir uns an seinem Lager zu schaffen machen», sagt Gerber. «Aber mit unserem Projekt zeigen wir, dass er recht hatte: Es gibt noch immer viele Leute, die sich für analoge Fotografie interessieren. So können wir dazu beitragen, dass dieses Handwerk wiederbelebt wird.»

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