Politik

Der ehemalige Fälscher macht jetzt eigene Kunst

In der Galerie Nievergelt in Dübendorf zeigt der einstige Fälscher Wolfgang Beltracchi seine eigenen Bilder. Die Ansprüche sind hoch, die Fallhöhe tief. Das Selbstmarketing zeitigt aber Wirkung.

Der ehemalige Fälscher macht jetzt eigene Kunst

«Ich will Beltracchi einfach mal leibhaftig sehen», sagt ein Besucher, der im Gedränge am Samstag vor der Galerie Nievergelt in Dübendorf steht. Er versucht, seinen Vernissage-Wein nicht zu verschütten. «Ich habe ihn im Fernsehen gesehen, wie er Emil Steinberger malt», ergänzt eine Besucherin, sie komme aus Neugierde.

Der Grund des Auflaufs: Wolfgang Beltracchi eröffnet unter dem Titel «Metamorphose» seine Ausstellung in Dübendorf. «Wir sind von ihm angefragt worden», so die Galeristen Helen Orler und Felix Nievergelt. Denn die Galerie setze bei grafischen Techniken einen Schwerpunkt. Beltracchi macht inzwischen eigene Kunst, wie Orler und Nievergelt versichern.

Zur Person

Die einen erarbeiten ihren Ruf, die anderen sitzen ihn ab: 2011 wurde Wolfgang Beltracchi vom Landgericht Köln wegen Urkundenfälschung zu sechs Jahren Haft verurteilt. Das Gericht kam zum Schluss, dass der Maler unzählige Fälschungen von Künstlern des 20. Jahrhunderts hergestellt und mithilfe seiner Frau in den Kunsthandel eingeschleust hatte.

Beltracchi gilt heute als rehabilitiert. Er hat seine Haftstrafe verbüsst, die Gläubiger sind ausbezahlt. 2014 bis 2016 drehte der Fernsehsender 3sat drei Staffeln, in denen der Maler gezeigt wird, wie er Prominente in verschie­denen Kunststilen malt. In der zweiten Staffel 2015 malte er Emil Steinberger im Stil des Künstlers Joaquín Sorolla. Die Serie wird auch am Schweizer Fernsehen SFR ausgestrahlt.

Nach den Sternen greifen

Von den Linoldrucken gibt es jeweils 30 Blätter, von denen jedes anders koloriert ist. Die Technik ist einfach: Der Druck mit Linolplatten braucht weder Chemikalien noch einen schweren Druckstock. Inhaltlich dagegen greift der Künstler nach den Sternen: Er geht von einem Gedicht von Stéphane Mallarmé aus, dem «L’après-midi d’un faune», geschrieben zwischen 1865 und 1867. In diesem Gedicht flirtet ein gehörnter Naturgeist – eben aus seinem Mittagsschläfchen erwacht – mit Nymphen.

Der Komponist Claude Debussy komponierte 1864 gestützt auf das Gedicht das Orchesterwerk «Prélude à l’après-midi d’un faune». Dieses Ballett gilt laut Orler «als Übergang von der klassischen zur modernen Musik».

Gewöhnungsbedürftige Kunst

Der Tänzer und Choreograf Vaslav Nijinsky brachte 1912 das Ballett auf die Bühne – seine Interpretation bedeutete den Beginn des modernen Balletts. 2017 nun will der Maler und Grafiker das bahn- und Stile brechende Thema in der bildenden Kunst weiterführen. Das kann nicht gut gehen, wie die linearen und bunt kolorierten Drucke zeigen. Die sind erzählerisch und expressiv, künstlerisch mit ihrer Handschrift – aber nicht bahnbrechend.

Seine Fälschungen mögen Meisterwerke sein, seine eigene Kunst überzeugt nicht. «Mir gefällt das handwerkliche Können», sagt eine Kunstfreundin, «das sieht man heute nur noch ganz selten.»

Berühmt ohne Allüren

Beltracchi und seine Frau signieren ihr Buch, in dem sie ihre Gefängniskorrespondenz publiziert haben. Er ist zwar berühmt, hat aber keine Allüren. Er unterhält sich mit den Galeriebesuchern, schätzt die Schweizer, von denen «die Deutschen ein völlig falsches Bild haben», wie er am Rande der Veranstaltung zu dieser Zeitung sagt.

Handwerker ohne Starallüren – Wolfgang Beltracchi begeistert ein Publikum, das genug hat von einem elitären Kunstbetrieb und das Bodenständiges schätzt. Er hat Kunstliebhaber vorgeführt, die bereit sind, einem Kult des Genius zu huldigen, der völlig irrational ist und in der Verehrung einzelner Künstler geradezu ersatzreligiöse Züge annimmt. Der einstige Fälscher zeigt: Das «Geniale», als unnachahmlicher Ausdruck eines künstlerischen Ichs gefeiert, enthält eben auch viel erlernbares Handwerk.

Das bringt auch Kunstliebhaber ins Grübeln, die sich von der Aura einzelner Genies gläubig haben erleuchten lassen. Aura verkrümelt sich mit dem monetären Wert eines Bilds, so einst der Fälscher. Insofern ist der Künstler ein nötiger Stachel im Fleisch des selbstgefällig gewordenen Kunstbetriebs. Mehr Distanz zur Vermarktungsmaschinerie des Paars, in die sich auch das Schweizer Fernsehen hat einspannen lassen, wünscht man sich allerdings. Denn nicht jeder Imitator wird auch Fälscher. Aber jede Gesellschaft hat die Künstler, die sie verdient. (Christina Peege)

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