«Man braucht einen langen Atem als Schauspieler»
Verlagsbeilage «50 Plus – Mitten im Leben»
Er spielte schon Polizisten, Mörder oder den Teufel. In seiner wahren Rolle lebt der Schauspieler Jürg Plüss mit seiner Partnerin und seinen beiden Kindern in Freudwil. Wir haben den 52-Jährigen zum Interview getroffen und mit ihm über durchgetaktete Drehtage, seine Leidenschaft für Musik und das Warten auf die nächste grosse Rolle gesprochen
Der Schauspieler Jürg Plüss stand auf unzähligen Theaterbühnen und spielte vor der Kamera die unterschiedlichsten Rollen. Aufgewachsen ist er im ländlichen Untervaz in Graubünden – sein Weg führte ihn über Basel, Zürich und Berlin in die Ustermer Aussenwacht Freudwil. Hier lebt der 52-Jährige in einem alten Bauernhaus mit seiner Partnerin und seinen zwei Kindern. Im Interview erzählt er, was es heisst, für seinen Traum zu brennen, auch wenn es dafür viel Ausdauer braucht.
Herr Plüss, Sie verkörperten Polizisten, Mörder oder auch mal einen Concierge. Inwieweit bauen Sie Erfahrungswerte aus Ihrem Leben in Ihre Rollen ein?
Jürg Plüss: Für eine neue Rolle suche ich natürlich erstmal bei mir selbst. Erfahrungen, Emotionen und Geschichten helfen, die Figur möglichst lebendig zu verkörpern. Eine Zeit lang wurde ich oft als Vater gecastet, da kann ich natürlich
sehr viel von meinem Leben in mein Spiel einbringen. Es gibt aber auch Rollen, bei denen ich gar keinen Anhaltspunkt habe. Da versuche ich mich zum Beispiel mit thematischen Podcasts und Dokumentationen in die Rolle reinzuversetzen. Für die Rolle als Polizist in der ZDF-Horror-Mystery-Serie «Was wir fürchten» besuchte ich beispielsweise auch einen Schiessstand in Uster, um den Umgang mit Waffen zu lernen.
Wie unterscheidet sich die Vorbereitung auf eine Theaterrolle von der Vorbereitung auf eine Fernseh- oder Filmrolle?
Im Film und Fernsehen ist es auch von der Rolle abhängig. Bei einer grösseren Rolle ist es oft angenehmer zu spielen. Es gibt eine Leseprobe, man lernt die Regie kennen und redet viel über die Figur. Und kann sie so teilweise auch mitgestalten. Bei einer kleineren Rolle, wenn man nur zwei, drei Tage am Set ist, muss man oft einfach abliefern. Da ist man mehr oder weniger auf sich allein gestellt. Im Theater hat man mehrere Wochen Proben, in denen man sich täglich mit der Rolle, dem Text und dem Stück auseinandersetzt. Man spielt mit dem Partner oder der Partnerin zusammen und lernt sie oder ihn in dieser Zeit auch besser kennen. So wächst man zusammen.

Sagt Ihnen eine Art der Schauspielerei mehr zu?
Nein, ich geniesse es sehr, beides zu machen. Es sind unterschiedliche Spielarten, und das eine befruchtet das andere. Es kann dadurch aber auch zu frustrierenden Terminkollisionen kommen. Bei mehrwöchigen Theaterproben ist
man für diese Zeit gesperrt. Kriegt man währenddessen eine Anfrage für eine Film- oder Fernsehrolle, dann ist kaum eine Produktion bereit, auf einen Schauspieler zu warten. Es sei denn, man ist ein Star oder sie suchen genau diesen
einen speziellen Typ. Das habe ich auch schon erlebt. Aber um viele Rollen zu bekommen, sollte man eigentlich immer verfügbar und frei sein.
Das stelle ich mir sehr schwierig vor. Gerade wenn man über längere Zeit keine Anfrage erhalten hat.
Wenn man sich für diesen Beruf entscheidet, weiss man, dass es einfach dazugehört. Mal läuft es besser, mal schlechter. Wenn man den Job wie ich über 20 Jahre macht, dann zehrt es aber manchmal schon. Es ist alles sehr unvorhersehbar, und man braucht viel Biss, um dranzubleiben. Denn vielleicht kommt schon morgen eine Anfrage für eine Rolle, mit der man für den Rest des Jahrs ausgesorgt hätte. Es sind sehr viele Komponenten, die man nicht selbst
steuern kann. Das Glück, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein, kann man leider nicht wirklich beeinflussen. Man macht seine Arbeit und hofft, dass alles passt. Und wenn man nach einem langen Tief endlich wieder etwas spielen kann, verpufft alle Negativität sofort. In diesen Momenten drückt die Leidenschaft durch, und ich finde es den besten Job der Welt.

Was braucht es, um diese schwierigen Phasen zu überstehen?
Eine Partnerin, die mitzieht und Verständnis aufbringt. Gerade wenn man Kinder hat, muss viel Flexibilität vorhanden sein und alles gut geplant werden. Um die finanziellen Schwankungen auszugleichen, habe ich einen Nebenjob, den ich bei einem Rollenangebot sofort pausieren kann.
Haben Sie es jemals bereut, diesen Weg eingeschlagen zu haben?
Nein, wenn ich jetzt zurückblicke, würde ich alles genau so machen. Aber wer weiss, vielleicht denke ich mir später, dass ich ab heute etwas hätte anders machen sollen. Denn dieses Jahr sind die Aufträge wirklich sehr rar. So, wie es
mir jetzt geht, geht es aber vielen Schauspielerinnen und Schauspielern. Deshalb finde ich es wichtig, darüber zu reden, dass nicht immer Job auf Job folgt. Trotz allem brenne ich immer noch wie am ersten Tag für diesen Beruf.
Ihre Ausbildung zum Schauspieler haben Sie relativ spät abgeschlossen. Wie kam die Entscheidung zustande, diesen Berufsweg einzuschlagen?
Nach der Lehre bei der Rhätischen Bahn wollte ich etwas anderes machen. Meine dortige Arbeit war mir viel zu beamtenmässig. Ich kündete, reiste viel umher, zog nach Basel und jobbte in ganz verschiedenen Branchen. In dieser
ereignisreichen Zeit entwickelte sich auch meine Faszination für Filme. Als ich mit 25 die typische Sinnkrise hatte, schaute ich mich auch nach Schauspielschulen um. Den Gedanken, Schauspieler zu werden, trug ich da schon länger
mit mir herum. Bei der European Film Actor School in Zürich wurde ich schliesslich aufgenommen und verbrachte dort die beste Zeit meines Lebens. Eine neue Welt ging auf, und ich spürte die Leidenschaft und den Ehrgeiz für diesen Beruf.
Hatten Sie Mühe, im Anschluss an die Schauspielausbildung gleich Aufträge zu erhalten?
Nach der Schule konnte ich hier gleich bei drei Produktionen einsteigen und zog dann ziemlich blauäugig nach Berlin. Dort habe ich insgesamt fünf Jahre Theater gespielt und ein bisschen gedreht. Zudem spielte ich Schlagzeug in
einer Band, mit der wir durch Deutschland und Europa tourten, und nebenbei habe ich immer mal wieder gekellnert. Berlin in den 2000er Jahren hatte sein eigenes Flair. Keiner hatte Geld, jeder machte einfach.

Mittlerweile standen Sie schon für Filme, Serien oder Werbungen vor der Kamera. Sind die Drehtage wirklich so durchgetaktet, wie man sich das vorstellt?
Ja. Von Anfang bis Ende ist alles minutiös durchgeplant. Ich bewundere die Leute, die solche Drehpläne erstellen und umsetzen. Besonders bei Fernsehproduktionen wird immer mehr gespart, und die Drehs sind deshalb umso kompakter. Das finde ich schade für die ganze Arbeit, die investiert wird. Als Gegenbeispiel ist der neue Spielfilm «Heldin» von Petra Volpe zu nennen, in dem ich mitspiele. Dort nahm man sich genügend Zeit zum Entwickeln
der Szenen und Figuren. Wir hatten Leseproben, Kameraproben, lernten die Regie und die anderen Schauspielerinnen und Schauspieler kennen. Die Tendenz ist aber, dass überall mehr eingespart wird.
Wie erleben Sie den Konkurrenzkampf unter den Schauspielerinnen und Schauspielern?
Es wartet niemand auf dich. Das habe ich vor allem in Berlin gemerkt, wo es zig arbeitslose Schauspieler gibt. Dementsprechend gross ist der Konkurrenzkampf. Am Set ist davon aber nicht viel zu spüren. Wenn es mal zu Auseinandersetzungen kommen sollte, ist es meist eine fruchtbare Konkurrenz. Denn jeder möchte sein Bestes geben.
Was bewegt Sie neben der Schauspielerei?
Musik war schon immer sehr wichtig für mich. Aktuell spiele ich Schlagzeug in der Zürcher Band Larry Bang Bang. Wir treten immer wieder mal auf und haben gerade letztes Jahr eine Platte veröffentlicht. Zudem habe ich meinen Nebenjob bei der Spitex in der Pflege. Eine sinnvolle und manchmal auch berührende Aufgabe. Man besucht die Menschen in ihren Wohnungen, sieht und hört ihre Lebensgeschichten. Das finde ich sehr spannend und kann davon auch was für den Beruf als Schauspieler mitnehmen.

Sie wohnen nun schon längere Zeit im Zürcher Oberland. Was schätzen Sie an der Region?
Freudwil ist perfekt für mich. Wenn ich aus dem Haus gehe, bin ich in 30 Minuten in Zürich. Gleichzeitig bin ich aber weit weg von der Stadt. Ich geniesse es, die Wälder und unseren grossen Garten um mich herum zu haben. Allgemein gefällt mir das Zürcher Oberland sehr gut. Wenn ich Texte lernen muss, mache ich das immer in Bewegung an der frischen Luft. Dann spaziere ich durch die Wälder, und die Bäume müssen sich mein Gelaber anhören.
Welche Ziele haben Sie sich für die Zukunft gesetzt?
Bis jetzt habe ich nur wenige Hauptrollen gespielt. Meistens in Kurzfilmen oder Episodenhauptrollen, und in ein paar Serien war ich im Hauptcast. Ich möchte daher unbedingt noch eine Hauptrolle in einem Kinofilm oder Fernsehfilm spielen. Eine Story mit einem richtig guten Drehbuch.
Was würden Sie jungen Leuten raten, die von einer Schauspielkarriere träumen?
Flexibel bleiben, Fixkosten tief halten, dranbleiben.
