Eisbaden – ein Hobby oder ein Heilmittel?
Verlagsbeilage «50 Plus – Mitten im Leben»
Es wird kälter, und die Kleidungsschichten werden dicker. Aber nicht für alle – für die Eisschwimmer heisst es, sich aus
dem «Zwiebellook» zu schälen und in den kalten See einzutauchen. Dr. med. Alexander Westphalen ist Leiter der Kardiologie sowie Leiter der Sportmedizin am Spital Uster und klärt rund um das Thema Eisschwimmen auf.
Dieser Beitrag wurde in der Verlagsbeilage «50Plus» veröffentlicht, die am 9. Oktober mit dem «Zürcher Oberländer» und dem «Anzeiger von Uster» erschienen ist.
Herr Westphalen, was genau ist Eisschwimmen überhaupt?
Alexander Westphalen: Das Eisschwimmen ist ein kurzes Schwimmen in sehr kaltem Wasser. Die Betonung liegt auf kurz, sodass man keine negativen Effekte davonzieht. Man trägt dabei keinen Neoprenanzug, damit man eben genau die Kälte spürt.
Wie kalt ist das Wasser beim Eisschwimmen etwa?
Die Temperaturen sind unterschiedlich. Es gibt Bilder von Schwimmern, die ein Loch ins Eis schlagen, da herrschen Temperaturen von 0 bis 4 Grad Celsius. In unseren Winterseen liegt die Temperatur zwischen 4 und 8 Grad Celsius.
Was passiert im Körper, wenn man ins kalte Wasser steigt?
Es wird ein Reflex ausgelöst. Eine Stressreaktion, in der man schneller atmet, die Herzfrequenz steigt an, und es kommt zur sogenannten Vasokonstriktion, einem Zusammenziehen der Gefässe. Erst mit der Zeit wird es so kalt, dass man zu zittern beginnt.

Welche Vorteile soll das Eisbaden effektiv haben?
Man erhofft, dadurch langfristig entzündungshemmende Effekte, eine Stärkung des Immunsystems sowie eine Stressreduktion zu erzielen. Kurzfristig profitiert man sicher von einer Kreislauf- und Durchblutungssteigerung.
Wie wird das Immunsystem durch Eisschwimmen gestärkt?
Durch die Stressreaktion wird Adrenalin ausgeschüttet, was zu einer Erhöhung weisser Blutkörperchen führt. Studien zeigen auch einen Anstieg der T-Lymphozyten, die mitverantwortlich für die erworbene Immunantwort sind, der NK-Zellen und von Zytokinen, welche eine wichtige Rolle in der Koordination der Immunabwehr spielen. Durch die angekurbelte Durchblutung werden die Lymphgefässe stimuliert.
Durch das Eisschwimmen soll man sogar abnehmen können.
Man hat auf jeden Fall einen erhöhten Kalorienverbrauch. Auch soll das braune Fett, das sich vom Speicherfett unterscheidet, aktiviert werden. Aber die Effekte sind hier wahrscheinlich relativ klein, vor allem wenn man nicht regelmässig Eisbaden betreibt.

Was sind die Gefahren, die auftreten könnten?
An erster Stelle sollte man schwimmen können, sonst droht das Ertrinken. Weiter besteht die Gefahr einer Unterkühlung, einer sogenannten Hypothermie. Wenn man wieder an Land ist, muss man sich sofort aufwärmen, ansonsten können schlimmstenfalls Erfrierungen gewisser Körperteile eintreten. Vor allem bei älteren Leuten könnte es zudem zu einem Kälteschock kommen.
Gibt es Personengruppen, die aus gesundheitlichen Gründen das Eisschwimmen unterlassen sollten?
Man sollte sicherlich im Vorhinein abklären, ob es Sinn macht. Ältere Personen leiden öfters an kardiovaskulären Erkrankungen oder Lungenerkrankungen, bei denen hohe Vorsicht geboten ist. Und auch schwangere Personen und Nichtschwimmer sollten das Eisbaden sein lassen.
Gibt es Beschwerden, auf die das Eisschwimmen hingegen positive Auswirkungen hat?
Es gibt Studien, die jedoch ein wenig widersprüchlich sind, die eine bessere und schnellere Muskelregeneration in der Kälte nachweisen. Kurzfristige positive Effekte sind eine gewisse Schmerzlinderung sowie die Ankurbelung des Herzkreislaufs. Was ich mir sicherlich auch vorstellen kann, ist, dass dadurch eine gewisse Kältetoleranz aufgebaut wird.

Viele wissenschaftliche Studien zum Thema gibt es noch nicht. Wird hier weitergeforscht?
Bei Sportlern gibt es, wie bereits erwähnt, Studien zur Regeneration im kalten Wasser – der sogenannten Cold Water-Immersion. Ansonsten ist es schwierig, konkrete Ergebnisse zum Eisbaden zu finden. Eisbaden ist ein interdisziplinäres Thema, und es gibt kein Fach, das es vollumfänglich abdeckt. Einerseits ist es nicht leicht, diese Studien zu koordinieren, andererseits sind beim Eisbaden vor allem Langzeiteffekte wichtig, die Zeit brauchen und dadurch schwieriger zum Studieren sind.
Wenn man nun seine ersten Versuche im Eisschwimmen wagen will, wie bereitet man sich am besten darauf vor?
Langsam starten. Also anfangs kürzer ins Wasser und nicht gleich ins kälteste Wasser. Es lohnt sich, in Begleitung zu beginnen, und es hilft, wenn man den Einstieg in das Gewässer kennt, vor allem wenn es viele Steine, steile Abgänge oder rutschige Stellen hat. Man muss sicher das Herauskommen aus dem Gewässer planen, direkt ein Tuch, genügend trockene Kleidung bereithalten und den Weg ins Warme planen. Wenn man bereits im Herbst beginnt, sich langsam an das Gewässer heranzutasten, damit der Körper sich an die fallenden Temperaturen gewöhnt, kann dies sicher helfen.

Wie lange darf man ungefähr im Wasser verweilen?
Bis es einem unwohl wird. Zu Beginn ein bis drei Minuten. Im Verlauf kann die Dauer auf fünf bis zehn Minuten erhöht werden. Wenn man zu zittern beginnt oder Verwirrungsgefühle empfindet, sollte man auf jeden Fall rauskommen.
Wie wärmt man sich am besten auf?
Ideal ist eine warme Dusche. Auf jeden Fall sollten ausreichend warme Kleider unmittelbar nach dem Ausstieg verfügbar sein. Noch nass mit dem Fahrrad heimfahren, um sich da aufzuwärmen, ist keine gute Idee.
Was treibt immer mehr Menschen dazu, in kalten Gewässern zu baden?
Die Leute haben ein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein und suchen parallel nach Möglichkeiten, Stress zu reduzieren. Was sicherlich auch ein wichtiger Faktor ist: Wenn jemand etwas vormacht, vor allem wenn man es dann noch in den sozialen Medien postet, wollen es die Menschen automatisch nachmachen.
Ist Eisschwimmen etwas für jedermann?
Ausprobieren kann es jeder, der es spannend findet. Risikogruppen, welche wir bereits angesprochen haben, sollten sicherlich zuerst ihren Hausarzt konsultieren. Ebenso, wer unsicher ist. Eisschwimmen ist für jene, denen es Spass macht und die keinen Schaden davontragen. Es sollte nicht als Heilmittel betrachtet werden, sondern vielmehr als Erlebnis.
